„Musik kannst du nicht lernen von einem Buch. Liebe kannst du nicht von einem Buch lernen. Du kannst nicht ein Buch lesen und sagen „Ich habe gelernt zu lieben“. Mit Pferden zu arbeiten kannst du nicht von einem Buch lernen. Das kannst du auch nicht lernen, wenn ein Lehrer dir sagt, wie du es machen musst. Du musst es suchen – und du musst es finden.“
Diese Worte klingen mir heute, ein paar Tage nach dem Event der „Next Generation“ in Chieming in Bayern, noch deutlich nach. An diesem Wochenende sind wir zusammengekommen, um von Arien und den Trainer an seiner Seite zu lernen. Über 250 Menschen sammeln sich voller Vorfreude und Spannung in der wunderschönen Reithalle des Hofes „El Rocio“ von Andrea Jänisch.
Bereits letztes Jahr konnte man den jungen Pferdetrainer Arien Aguilar, Sohn des bekannten Trainers Alfonso Aguilar, zusammen mit Kenzie Dysli in Deutschland antreffen. Doch dieses Jahr scheint es, als ob Ariens Idee mit der Next Generation tatsächlich nicht nur einzelne Querdenker trifft. Vielmehr scheint es, als ob der junge Pferdetrainer mit seiner einzigartig humorvollen und doch so faszinierend weisen Art einen Punkt in der Pferdwelt getroffen hat, der uns alle anspricht.
Als Arien von der Entstehung der Next Generation erzählt, müssen viele Zuschauer lächeln. Er erzählt davon, wie er die geniale Idee hatte, die fünf besten und bekanntesten Pferdetrainer zusammen zu bringen, um gemeinsam zu lernen. Und wie er dabei scheiterte – denn keiner dieser Persönlichkeiten wollte sich darauf einlassen, zusammenzuarbeiten. „Ein paar wären sicherlich nicht lebendig raus gekommen“ erzählt Arien lachend. Doch schon bald wird er wieder ernst.
„Wenn du nicht den Mut hast, anderen zuzuhören, dann lernst du nicht.“
Im Gegensatz zu wohl fast allen Trainern und ihren Systemen ist Arien weit davon entfernt, sich selbst vermarkten zu wollen. Stattdessen sucht sich Arien junge Trainer, die bereit sind, zusammen zu lernen. „Wir müssen lernen, zu lernen.“ fordert er uns alle auf. Seine Leidenschaft und sein Enthusiasmus lässt heute wohl keinen kalt – wir alle sind in den Bann gezogen von der positiven, offenen und unkomplizierten Einstellung des jungen Pferdemenschen.
Ganz im Sinne des gemeinsamen Lernens steht auch die heutige Veranstaltung. An Ariens Seite finden sich zwei ebenso junge Pferdetrainer, mit denen wir den heutigen Tag erleben werden. Viktoria Bergér steht anfangs eher still im Hintergrund – überzeugt jedoch im Laufe des Tages mit ihrer wunderbar ruhigen, sanften Art mit den Pferden zu arbeiten. Ihr Wissen und ihr Gefühl für die Pferde fasziniert mich sehr und sehr gelungen schafft sie es, ihre Ideen dem Publikum nahe zu bringen und an den Pferden bildhaft zu demonstrieren. Weniger still ist dagegen der spanisch sprechende Trainer Miron Bococi. Mit seiner Energie und seiner Redefreude bringt er Leben in die Runde und lässt später das Publikum toben, als er mit seinen beiden Pferden in einem wilden Tanz durch die Halle fliegt. Auch wenn sich Arien selbst oft mit seiner Meinung im Hintergrund hält, so ist es doch ganz eindeutig er mit seinem ganz eigenen, fesselnden Charakter, der die ganze Veranstaltung beisammen hält und ihr eine Richtung gibt.
Als alle Zuschauer ihren Platz in der wunderschönen Halle des Hofes gefunden haben, beginnt die Veranstaltung mit den drei Problempferden der aktiven Teilnehmer.
Doch schon mit den ersten Worten nimmt Arien dem Ganzen seinen negativen Ernst und erzählt voller Charm, wie sehr er Probleme liebt und stets danach sucht – denn sie sind es, die uns helfen, die Kommunikation zu verbessern und miteinander zu lernen.
Mit dieser positiven Einstellung beginnen wir nun also, die Probleme des ersten Pferdes zu beurteilen. Vor uns steht eine wunderschöne Fuchsstute mit ihrer Besitzerin. Die beiden machen einen harmonischen, ruhigen Eindruck. Doch weniger schön sind wohl die Erlebnisse des Einreitens. Die Besitzerin traut sich nicht, ihre Stute zu reiten. Anstatt jedoch sofort zu Sattel und Trense zu greifen, spaziert Viktoria nun erstmal gemeinsam mit Pferd und Besitzerin durch die Halle. Mit ruhiger Stimme korrigiert sie mal hier ein wenig die Haltung der Frau und zeigt mal dort, wo das Pferd noch Schwierigkeiten hat.
Nachdem die Stute jedoch recht ruhig und gelassen auf die Hilfen antwortet, sucht Arien bald das, was er so liebt: Das Problem. Er möchte das Thema Reiten anschneiden und schauen, wie die Stute reagiert. Dazu lässt er sich von Viktoria helfen. Diese übernimmt das Pferd und versucht, ihm in einer ruhigen, zur Seite gebogenen Führposition Sicherheit und Ruhe zu geben. Die Biegung setzt Arien hier bewusst ein, um Ruhe ins Spiel zu bringen.
„Biegung bringt Ruhe ins Pferd, Versammlung hingegen bringt Energie.“
Arien gewöhnt währenddessen an der Seite stehend und bald auch hüpfend das Pferd an den Reiter. Man merkt bald, dass sich das Verhalten der Stute ändert und sie ängstlich wird. Als Arien sanft auf ihren Rücken hüpft, explodiert sie bald nach vorne weg. Die jungen Pferdetrainer sind sich einig: Dieses Verhalten entstand aus der Notsituation einer schlechten Erfahrung der Stute heraus und ist nun bei ihr manifestiert. Dagegen hilft nur langsame Umgewöhnung. Arien versucht ihr zu zeigen, dass sie mit Ruhe und Entspannung belohnt wird, wenn sie ihm Vertrauen entgegen bringt. So einige Male hält das Publikum die Luft an, doch zum Schluss hin sitzt Arien auf einem verhältnismäßig entspannten, kooperativem Pferd. Lachend erklärt Arien der Besitzerin, dass sie da nun dran bleiben müsse – und dass sie dazu wohl jemand genauso Verrückten wie ihn selbst finden müsse. Das ist wohl etwas, was sich heute wie ein roter Faden durch die Veranstaltung zieht: Arien und seine Trainer können den Besitzern und auch uns Zuschauern allen nur Tipps, Ideen und Inspiration mit auf den Weg geben. „Geheilt“ wird keines der Problempferde. So mancher mag davon vielleicht etwas ettäuscht sein oder sich eine bessere Anleitung für die Besitzer erhofft haben. Auch ich habe darüber nachgedacht – doch dann denke ich wieder an Ariens Worte zurück und weiß, dass dies genau so gewollt ist. Denn Arien ist eben nicht gewillt, uns an die Hand zu nehmen und einen Plan zu erstellen, dem wir folgen sollen. Stattdessen versucht er (und das recht erfolgreich wie ich finde), unser Gefühl zu schulen und uns zu ermutigen, einen ganz eigenen, für uns richtigen Weg zu finden.
Und schon betritt das nächste Problempferd die Halle und stellt die jungen Trainer vor eine neue Herausforderung.
Herein kommt ein schwarzer Wallach mit freundlichem Ausdruck im Gesicht. Doch von Anfang an scheint dieses Pferd nicht wirklich anwesend und schon gar nicht bei seiner Besitzerin zu sein. Miron analysiert sehr treffend, dass er wie ein unaufmerksamer Schüler mit seinen Gedanken stets wo anders ist – nur nicht dort, wo er eigentlich lernen soll. Diesem Pferd fehlt vor allem die Basis, um gemeinsam mit seiner Besitzerin zu lernen. Miron übernimmt recht bald und demonstriert seine Art, mit dem Problem umzugehen. Sofort erkennt man die „Natural Horsemanship“-Wurzeln, als er das Seil hin und her wirft, um das Pferd zum Rückwärts gehen aufzufordern. Ganz richtig erklärt er, dass das Pferd zuerst lernen müsse, uns seine Aufmerksamkeit zu schenken. Das schafft er auch im Verlauf der Stunde. Ich merke jedoch, dass die Art und Weise nicht nur mir, sondern auch einigen anderen Zuschauern missfällt. Er baut sehr viel Druck auf und teils scheint das Pferd dadurch eher überfordert zu sein. Als es wiederholt nicht rückwärts treten will, baut Miron so viel Druck am Seil auf, dass das Pferd irgendwann seine Lösung ins Vorwärts sucht – für mich eindeutig ein Zeichen, dass die Kommunikation nicht effektiv ist. Ich denke, die Ansätze von Miron waren sehr richtig. Doch ich hätte hier einen anderen Weg gewählt und dem Pferd von Anfang an mehr die Möglichkeit des Verstehens und Mitarbeitens eingeräumt.
Als Miron erzählt, dass in seinen Augen die Pause das größte Lob für ein Pferd darstellt, mischt sich Arien ein, der das Geschehen bisher scharf beobachtete. Er widerspricht seinem Kollegen nicht, erklärt aber, dass es für ihn viele wichtige Arten des Lobes gibt, auf die er alle nicht verzichten möchte. Das Publikum atmet auf und es scheint, als habe Arien es mal wieder geschafft, alles miteinander zu etwas Positivem zu verbinden.
„Es gibt über 27 Arten von Lob. Ich möchte mir alle offen halten, um sie bei verschiedenen Pferden einsetzen zu können.“
Noch länger denke ich über diese Einheit nach. Doch auch wenn ich immer noch anders gehandelt hätte, so hat es mir durchaus auch den Blick frei gemacht auf eine andere Sicht der Dinge. Als ich mich später mit Miron unterhalte, werden mir viele seiner Ansichten klarer und ich glaube, dass sie durchaus ihre Berechtigung haben. Und während das nächste Pferd in die Halle gebracht wird, stelle ich fest, dass es genau das ist, was Arien erreichen will: Wir Zuschauer, Pferdebesitzer, Trainer – wir alle, lernen zu lernen. Wir diskutieren miteinander, auf Augenhöhe. Es fällt anfangs schwer, nicht zu verurteilen. Doch wenn man den Mut aufbringt, zuzuhören, dann wird man reich. Reich an Wissen, reich an Erfahrung und vor allem reich an Gefühl.
Viel Gefühl spüren wir auch beim nächsten und letzten Problempferd.
Der Traberwallach soll mit seiner Besitzerin viel Spazieren gehen, um seine Arthrose vor dem Reiten zu schonen. Bereits bei der ersten Stute kam das Thema der Gesundheit auf. Aus dem Publikum wurde die Sorge kund getan, dass manche Probleme vielleicht gesundheitlichen Ursprungs wären. Arien greift diesen Gedanken auf und teilt uns seine Meinung dazu mit. So zeigt er uns am Pferd selbst, wie er vor dem Aufsteigen die Rückenmuskulatur checkt. Doch mit einem Lächeln auf den Lippen und seinem typischen Charme versichert er uns, dass wir oft dazu neigen, zu übertreiben. (Und hier trifft er wohl einen Punkt, an dem wir uns alle ein wenig ertappt fühlen, oder nicht?) Arien ist überzeugt davon, dass mehr Pferde durch herumstehen und aufdiktierter Boxenruhe Schäden davon tragen, als durch gezielte Bewegung. Ein Pferd ist äußerst robust und zäh und als Lauftier dazu gemacht, sich zu bewegen. Das Wissen aus seinem Studium der Verhaltensbiologie vermittelt uns Arien spannend und zugleich sehr praxisnah. Dem letzten Problempferd hat sich währenddessen Viktoria zugewand.
Das Alter und die steifen Gelenke machen dem Pferd zu schaffen. Doch anstatt ihn zu schonen, sind sich die Trainer einig, dass gezielte Bewegung die beste Medizin wäre. Viktoria beginnt ganz ruhig, mit ihm an den ersten Schritten des Schulterherein zu arbeiten. Fasziniert betrachte ich, wie die anfangs steifen, unkoordinierten Bewegungen des Trabers langsam harmonischer und schwungvoller werden. Anschließend möchte uns die junge Pferdetrainerin mit diesem Pferd noch die ersten Schritte des Kruppe herein zeigen. Sie stellt das Pferd leicht schräg zur Bande hin. Mit der Hand auf der Pferdenase stellt sie den Wallach zunächst nach außen und lässt ihn mit der Gerte über der Kruppe auf sich zu treten. Das ist anfangs natürlich kein Kruppe herein, da die Stellung fehlt. Doch mit viel Gefühl und Ruhe kitzelt sie Schritt für Schritt heraus, dass der Wallach mit der Kruppe zu ihr hereinkommt und dabei vorne immer gerader wird, bis er sogar für ein, zwei Schritte mit korrekter Stellung ein leichtes Kruppe herein schafft.
Mit diesem schönen Ergebnis wird das letzte Problempferd entlassen und nach einer Mittagspause in der warmen Sonne kommen die Trainer mit ihren persönlichen „Problempferden“, wie Arien lachend sagt, in die Halle. Doch vorher dürfen wir noch Zeugen einer ganz besonderen Verbindung werden: „Special Guest“ Maja legt eine einmalige Vorführung mit ihrem Minishetty „Gijs“ hin, von der wohl fast jeder Zuschauer in der großen Halle einfach nur gerührt und fasziniert ist. Hier ein kleiner Vorgeschmack der Beiden:
23. August 2015 um 10:02
Hallo Alessa,
Vielen lieben Dank für diesen ausführlichen Beitrag. Besonders gefällt mir, dass die Absicht von Arien, die Anwesenden zu motiveren, selber zu lernen, selber Entscheidungen zu treffen und die entsprechenden Schritte auszuprobieren. Der einzig richtige Ansatz! Da liegt noch viel Arbeit vor dem jungen Mann; Selbstverantwortung ist gerade heute nicht besonders „in“. Umso mutmachender, dass Arien eben aus der „nächsten Generation“ stammt.
Ebenfalls sehr wohltuend war für mich das Lesen Deiner Zeilen! Solche Wortkraft ist auch nicht selbstverständlich! Danke!
Ich freu mich auf Teil II.
Herzlich,
Dominique
24. August 2015 um 9:16
Wunderschön zusammengefasst. Es war ein spannender Tag und auch dein Gespräch mit Miron nach dem Kurs klingt interessant. Das ist es schließlich auch, worum es dabei geht: Lerne verschiedenes kennen, tausche dich aus und finde dann den richtigen Weg für dich. Das ist so eine wunderbare Idee! Für mich ist Mirons Weg nicht ganz der passende, dafür aber der Weg von Arien umso mehr. Aber am Ende hat alles seine Berechtigung – ausgenommen natürlich Brutalität, Gewalt und Qual. Danke für den schönen Artikel und ich freue mich schon auf Teil 2. Liebe Grüße, Petra
25. August 2015 um 7:50
Sehr gut geschrieben. Ich sehe dass mit der Arbeitsweise bin Miron ähnlich, habe aber nach der Show nochmal nachgefragt. Im Training mit seinen Pferden geht er doch immer auf die Stärken und Schwächen seiner Pferde ein! Feeling zum Beispiel legt sich nicht gerne hin, muß es also auch nicht machen. Dafür tut dass Bruce umso lieber. Ich denke er respektiert seine Pferde und sie sehen glücklich aus. Dennoch bestreite ich auch lieber einen Ausbildungsweg mit weniger Druck und mehr Belohnung…
25. August 2015 um 9:06
Wundervoll zusammen gefasst! Vielen Dank dafür. Auch ich bin noch beseelt von der Veranstaltung in Issum! Das muss nächstes Jahr unbedingt weiter gehen!
Liebe Grüße
Steffie