Gerade noch auf träge in der Hitze flirrenden Landstraßen angereist, wird man hinter den Toren des Geländes von einer fremden Welt verschluckt. In der Ferne hört man das Klirren der Schmiede, um einen herum lautes Lachen und wo man auch hinblickt kann man erstaunliche Entdeckungen machen. Die kleinen Stände des Mittelaltermaktes, die verwunschen zwischen den raschelnden Bäumen aufgebaut sind, bieten Schätze wahrer Handwerkskunst. Wie es scheint, bin ich nicht die Einzige, die von der einzigartigen Stimmung in den Bann gezogen wird. Heute ist einer der seltenen Tage, an dem ich tatsächlich nur lachenden Menschen ins Gesicht blicke und von einer Wolke aus Heiterkeit umgeben bin.
Wo ich mich befinde, fragt ihr euch? Heute bin ich eingeladen auf die Kaltenberger Ritterspiele, dem größten Mittelalterfest der Welt. 1979 von Luitpold Prinz von Bayern ins Leben gerufen, wird dieses spekatuläre Event nun bereits seit 36 Jahren veranstaltet. Auch wenn man hier Pferde auf den ersten Blick als letztes erwartet, spielen gerade diese die größte Rolle der Veranstaltung…
Die entspannte und zugleich vorfreudig aufgeladene Stimmung macht auch hinter der Abzäunung nicht halt, durch die ich nun freundlich durchgewunken werde. Dahinter erwartet mich eine ganz besondere Persönlichkeit: der Filmpferdetrainer Mario Luraschi!
Als ich gespannt das Gelände betrete, fällt mein Blick sogleich auf eine Herde wunderschöner Pferde. Die Hengste und Wallach, hauptsächlich reinrassige Andalusier, werden am Halfter geführt auf dem Platz aufgewärmt. Die Pferde bieten majestätische Anblicke. Die Mähnen flattern im Wind, ihre Geschirre klirren und stolze Nüstern werden gebläht. Doch trotz dem Kribbeln, das in der Luft liegt, laufen die Hengste am lockeren Führstrick völlig entspannt hinter ihren Menschen her. Und dort, inmitten des Trubels, steht ein älterer Mann mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er strahlt eine unerschütterliche, souveräne Ruhe aus. Und trotz seines umspektakulären Aufritts weiß man sofort, dass hier eine große Persönlichkeit steht.
Mario Luraschi ist nicht nur der Trainer und Gründer der Stuntreiter-Gruppe „Cavalcade“, welche dieses Jahr für die Ritterspiele mit ihren Pferden bereits zum 15. Mal aus Frankreich angereist ist. Dieser Mann ist eine Legende im Film- und Showbusiness. Bei mittlerweile fast 500 Filmen haben seine Pferde bereits mitgespielt. So arbeitet Luraschi beispielsweise eng mit Roger Moore beim Dreh zu James Bond zusammen. Auch Größen wie Penelopé Cruz oder Jean Reno arbeiten Seite an Seite mit ihm. Doch so groß seine Leidenschaft zum Filmbusiness auch ist – seine Größte ist und bleibt wohl die zu den Pferden. Dies beweist der begnadete Pferdetrainer mit seiner besonderen Art im Umgang mit den Pferden. Im Show- und Filmbusiness sorgt Luraschi dafür, dass sich die Trainingsmethoden für Pferde ein für alle mal ändern. Für sein Engagement wird er 2003 von der französischen Pferdeschutzliga ausgezeichnet. Doch auch wenn er sich dafür einsetzt, dass gewisse Trainingsmethoden verschwinden, so sind seine Shows und Stunts nicht weniger spektakulär. Pferde springen von Stegen in ablegende Boote, liegen minutenlang völlig bewegungslos am Boden oder lassen sich aus vollem Galopp mit ihrem Reiter zu Boden stürzen. Eigentlich fast undenkbar, dass dies alles tatsächlich ohne Druck und Gewalt den Vierbeiner gegenüber umgesetzt werden kann. Ich bin gespannt auf die folgende Show!
Doch erst einmal werde ich nun zu Luraschi selbst begleitet und dem Pferdetrainer persönlich vorgestellt. All meine Anspannung verschindet in dem Moment, als er mir herzlich die Hand drückt und mir ein unglaublich offenes, ehrliches Lächeln schenkt. Da steht dieser wahrlich berühmte Mann, der die ganze Welt bereist und warscheinlich alles gesehen und erlebt hat, und nimmt sich ganz selbstverständlich die Zeit, meine Fragen zu beantworten. Mit ruhiger Stimme erzählt er mir von seinen Pferden, ein Auge immer auf seine Schützlinge gerichtet, die gerade um uns herum geführt werden. Fast 65 Pferde stehen derzeit auf Luraschis Hof in Frankreich, alles reinrassige Andalusier. Diese eignen sich besonders für die speziellen Anforderungen eines Showpferdes. Doch auch nicht alle Vetreter dieser edlen Rasse können bei Mario bleiben. Nach einer Zeit von etwa drei bis sechs Monaten entscheidet der Trainer, ob die einzelnen Pferde für die Aufgaben bei ihm geeignet sind oder nicht. Denn er möchte die Pferde zu nichts zwingen. Sie sollen und müssen das Leben als Showpferd in ständigem Trubel und auf Reisen lieben. Stimmt die Chemie zwischen Trainer und Pferd, so folgen in der Regel bis zu zwei weiteren Jahre, in denen die Pferde vom Meister ausgebildet werden. Wenn sie einmal diesen Weg eingeschlagen haben, so verlassen sie diesen auch nicht mehr – denn Luraschi verkauft seine Pferde nicht! Wozu mit viel Liebe, Zeit und Geduld die Pferde ausbilden, um sie dann zu verkaufen?
So verbrachte auch sein letztes Jahr verstorbenes Pferd all die Jahre bei ihm, bis es mit 22 Jahren in den Ruhestand kam. Die letzten vier Jahre lebte es sein nun verdient ruhiges Rentnerleben auf einer rießigen Koppel in Frankreich. „Die Pferde haben das schönste Leben“ erzählt Luraschi. Natürlich sind sie viel unterwegs, müssen körperliche Höchstleistungen erbringen und sind sicherlich auch mal der einen oder anderen Stresssituation ausgeliefert. Doch dafür dürfen sie ihr Leben lang bei den selben Menschen und Pferden verbringen. Sie haben eine wirkliche Aufgabe, werden gefordert und gefördert. Diese Umstände spiegelt sich in den Augen der vierbeinigen Schauspieler, die um mich herum spazieren. Doch noch befinden sie sich ja auch nicht in der Show. Wie es dort wohl mit ihrer Gelassenheit aussehen wird? Ich bin gespannt!
Vorerst veraschiede ich mich von Mario Luraschi, um meinen Platz in der ersten Reihe der Tribüne einzunehmen. Dort werde ich die Show tatsächlich hautnah erleben. Denn Reiter und Pferde sind nicht nur innerhalb der Arena zu finden – gern werden auch die Zugänge durch das Publikum genutzt, um die Arena zu erreichen! Langsam bricht die Dämmerung herein, Fackeln werden angezündet und nachdem das nicht gerade kleine Publikum Platz genommen hat, können die Ritterspiele beginnen. Prinz Luitpold selbst eröffnet diese feierlich – selbstverständlich hoch zu Ross. Wie sich im Laufe der nächsten zwei Stunden herausstellt, ist die Bekanntheit und der bleibende Erfolg dieser spektakulären Show wirklich berechtigt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine bessere Aufführung mit Pferden gesehen zu haben. „Besser inwiefern“ fragt ihr euch warscheinlich. Ich kann nur sagen: Besser in allen Bereichen!
Die Stunts der Reitertruppe waren tatsächlich atemberaubend. Nicht nur die Ritterkämpfe selbst, bei denen die Pferde aus vollem Galopp aufeinander zugaloppierten und Reiter sich aus eben diesem vom Pferd stürzen ließen – auch die Stunteinlagen zwischendurch ließen selbst erfahrene Zuschauer „mit Pferdeblick“ den Atem anhalten. Im vollen Galopp hangelte sich ein Reiter unter dem Bauch seines Pferdes hindurch. Ein weiterer sprang im einen Galoppsprung auf den Boden und im nächsten wieder auf den Rücken seines Vierbeiners. Inmitten des Kampfgetümmels lies sich ein Pferd mitsamt seinem Reiter auf den Boden fallen. Feuer, Lärm, wehende Fahnen – all dies umgab die Pferde und dennoch blieben sie an den Hilfen der Reiter.
Doch so spektakulär wie dies auch ist, so ist für mich nicht die Show alleine das Entscheidende. So faszinierte mich auch hier vor allem die Art und Weise, wie die Pferde ihre Aufgaben erfüllten. Natürlich merkte man den Pferden in der riesigen Arena das Adrenalin und die Spannung an. Das eine Pferde reagierte weniger ruhig, das andere blieb dir Show durch die Ruhe selbst. Doch alles in allem suchte man vergeblich nach dem, was man leider allzu oft auf Shows und auch immer häufiger auf Turnieren zu sehen bekommt: Dem Bild eines gebrochenen Pferdes, das zugeschnürt mit aufgerissenen Augen und abgehakten Gangbild die Befehle seines Reiters ausführt. Bei vielen von uns taucht nun wohl das Bild eines ganz bestimmten schwarzen Hengstes auf…
Doch hier auf Kaltenberg präsentieren sich die Pferde anders. Entsprechend ihren verschiedenen Charakteren betrachteten die einen ruhig und gelassen das Geschehen, während andere unruhig tänzelnd ihren Einsatz abwarteten. Der körperlichen Leistung an diesem heißen Sommertag zu Folge schwitzen natürlich alle Pferde und man sah auch mal ein geöffnetes Maul oder einen Sporen den Pferdebauch berühren. Doch all dies geschah, ohne die Pferde in ihrem Geist und ihrem Körper tatsächlich zu verletzen. Das ist es wohl, was mich am meisten faszinierte: Inmitten der Dynamik bildeten Reiter und Pferd eine Einheit. Sie arbeiteten miteinander und passten aufeinander auf. Weder von Seiten der Pferde noch von Seiten der Reiter sah man Grobheit oder Respektlosigkeit. Die Pferde wurden tatsächlich als das behandelt, was sie für die Kaltenberger Ritterturniere genauso wie für den großen Pferdetrainer dahinter bedeuten: Als wahre Stars! Als diese galt auch der größte Applaus des Publikums allein ihnen. Mario Luraschi selbst ließ es sich nicht nehmen, am Ende der Show auf einem seiner Andalusier durch die Arena zu galoppieren. Seinen Applaus hat er sich mindestens genauso verdient wie seine vierbeinigen Freunde!
Mehr Informationen zu den Kaltenberger Ritterspielen findet ihr hier.
9. August 2015 um 10:03
Liebe Alessa,
das ist ein sehr schöner Artikel mit richtig tollen Bildern!
Einen echten Filmpferdetrainer möchte ich auch gerne mal treffen. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie „ruhig“ diese Pferde sind, obwohl es links und rechts von ihnen knallt und raucht und ich würde super gerne mal bei einem Trainingstag dabei sein – allerdings nur, wenn es wie hier ein pferdegerechtes Training ist. Oft sieht man ja leider, wie du auch schreibst, gebrochene Pferde.
Liebe Grüße
Karo