Ein gut gerittes Pferd ist eines, das sich von jedem reiten lässt. Das brav seine Lektionen ausführt und funktioniert . . .
Ein Lebewesen, das funktioniert? Tatsächlich, kann das unser Ziel sein? Kann und sollte es Ziel sein, dass unser Pferd Hilfen ohne zu hinterfragen annimmt und ausführt? Ist es das, was wir unter Kommunikation, unter gutem Reiten verstehen? Ich denke, für viele ist es das Ziel einer perfekt gelebten Reitlehre: Ein Pferd, das genau diesem einem Schema nach ausgebildet wurde und alle darin enthaltenen Schritte brav absolviert hat. Und schon sind wir bei dem Thema angelangt, welches ich so kritisch beurteile:
Reitweisen, Methoden, Systeme.
Es gibt sie in unzähligen Formen und Erscheinungen mit verschiedensten Anhänger-Zahlen. Und sie alle haben eines gemeinsam: Sie wollen die Ausbildung des Pferdes schematisch in verschiedenen, aufeinander aufbauenden Schritte erklären und als Anleitung dienen. Als Anleitung für gutes Reiten und gute Pferdeausbildung. Doch wie gut kann etwas sein, dass alle Individuuen – Mensch und Pferd – in einen einzigen Rahmen setzt?
Um wieder zu meinem anfangs erwähnten Bild zurück zu kommen: Letztendlich frage ich mich bei fast allem, was das Pferd davon hat. Wie geht es ihm dabei? Wie fühlt es sich, wie kann ich ihm helfen? Wie empfindet das Pferd, welches brav von jedem Reiter alle Lektionen ausführt? Was wir beim täglichen Umgang und noch viel mehr bei der Ausbildung unserer geliebten Vierbeiner brauchen ist sicherlich Inspiration, vielleicht ein Leitfaden und sicherlich auch praktische Tipps. Doch abgesehen davon, wie sehr kann uns ein Schritt-für-Schritt System helfen?
Oft fängt es schon damit an, dass wir Menschen uns in einem solchen System nicht wohlfühlen. Wir führen angegebene Übungen mit einem mumligem Bauchgefühl, Unsicherheit oder tatsächlichem Widerwillen aus. Aber „man muss das ja so machen“. Sagt zumindest die FN, der Western-Trainer vom Stall nebenan oder der allwissende Stallkollege. Aber müssen wir tatsächlich?
Ich glaube, in erster Linie muss man für sich und sein Pferd einen Weg finden, der beide glücklich macht, die Beziehung stärkt und sich dauerhaft gut anfühlt.
Ist es also falsch, sich mit einer bestimmten Lehre zu beschäftigen? Nein, das denke ich nicht. Ich finde es sogar sehr wichtig, sich in der Theorie mit allen Themen rund ums Pferd zu beschäftigen. Das ist in meinen Augen absolute Pflicht eines verantwortungsbewussten Pferdebesitzers oder Reiters! Nur so kann ich mir vor Augen halten, was ich für mich und das Pferd in Zukunft erreichen kann und möchte. Gewisse Trainingslehren können uns eine Anlehnung bieten, an derer wir uns orientieren und inspirieren lassen können. Sich einer Reitweise zugehörig zu fühlen ist also sicherlich nicht falsch! Doch dabei ist mir eines wichtig:
Die Theorie hört da auf, wo die Praxis anfängt!
Denn unsere Pferde sind genauso wie wir Individuuen mit ihren ganz eigenen Ecken und Kanten, besonderen Problemen und besonderen Talenten. Fange ich nun an, eine solche (Pferde)persönlichkeit in ein vorgeschriebenes System zu pressen und es diesem Rahmen entsprechend zu formen, geht sehr schnell etwas verloren. Ganz konkret bedeutet das für mich tatsächlich, dass genau zwei Situationen auftreten werden:
Die ganz eigenen Problemstellen dieses Individuums werden übersehen. Im Lehrbuch steht, das Pferd müsse Kruppeherein lernen? Doch was passiert dabei mit einem Pferd, welches eh schon mit der Hinterhand innen vorbeitritt? Hilft ihm diese Lektion in diesem Moment tatsächlich oder verstärke ich vielleicht nur eine individuelle Schwäche?
Doch bei dem Versuch, unsere Pferde in eine gewisse Lehre zu zwingen, ist es in meinen Augen noch viel fataler, dass dabei ihr glänzendes Potential verloren geht. So oft bieten uns die Pferde die wunderbarsten Ideen an und wir können oder wollen sie nicht annehmen, weil es eben gerade nicht ins Konzept passt. Was unser Pferd dabei auf Dauer gesehen lernt, ist, dass Eigeninitiative nicht gefragt ist. Sein Talent, seine Freude an der Mitarbeit und seine besonderen Stärken bleiben dabei meist auf der Strecke.
Die Genialität der ganz eigenen Stärken genauso wie die Wichtigkeit, an den eigenen Baustellen zu arbeiten, gehen in einem allgemeinen Sumpf unter. Ist das nicht nur schrecklich kontraproduktiv, sonder vor allem sehr frustrierend aus Sicht des Pferdes? Denn auf diese Weise forme ich mir tatsächlich genau solch ein Pferd, welches ich in meinen einleitenden Sätzen beschrieb: Eines, welches lernte, sich anzupasse und seine Persönlichkeit hinten anzustellen. Es mag sein, dass jenes Pferd gut zu reiten ist. Doch wie viel besser wäre es tatsächlich, hätte man nicht einen solchen Rahmen um es gesetzt?
Wir alle haben diesen wunderbaren Kindheitstraum in uns, von freien und wilden Pferden, die gleichzeitig so sanftmütig und liebevoll mit uns Menschen kommunizieren.
„Wendy-Welt“ höre ich es gleich aus vielen Ecken rufen. Ja, wir leben in einer zivilisierten Welt und gewisse Regeln und Rahmen müssen wir uns und unseren Pferden setzen. Und dennoch möchte ich euch heute auffordern, über diese Rahmen, Systeme und Anleitungen nachzudenken. Helfen sie uns, helfen sie unseren Pferde? Oder schränken sie uns vielleicht doch an der einen oder anderen Stelle ein und hindern uns daran, uns zu entfalten und zu entwickeln?
Oft sind es vielleicht gar nicht die großen Leitfäden, sondern Kleinigkeiten im Alltag, die sich zur Routine entwickelt haben und uns in unserer Freiheit berauben. So tun wir vielleicht ein Gutes daran, das Pferd beim Putzen einmal nicht Anzubinden. Auf diese Weise kann es uns möglicherweise viel deutlicher zeigen, welche Stellen es liebt, gekrault zu bekommen und welche andere Stellen vielleicht empfindlich sind. Freiheiten zu gewähren bedeutet oft, ehrliche Erkenntnisse zu erlangen. Vielleicht sind diese nicht immer erfreulich – aber wahrscheinlich bringen sie uns doch meist erheblich voran auf unserem gemeinsamen Weg!
Ganz bewusst versuche ich an manchen Tagen, mir die Zeit und Muße zu nehmen, meine gesetzten Rahmen hinten anzustellen und das Pferd daraus hervortreten zu lassen. Ja, das kostet Mut und es kostet Überwindung. Doch ich bin mir sicher:
10. Dezember 2015 um 17:02
Das ist genau das, worüber ich mir immer wieder den Kopf zerbreche, in Gesprächen mit anderen Reitern kommt immer wieder raus, dass das tatsächlich das Ziel ist: ein für jeden zu bedienender Sportgegenstand.. Welcher im Laufe seines Lebens durch unzählige Hände geht. Zur Aufzucht weg, zum Beritt weg, dann wird er auf Turnieren vorgestellt und von dort aus weiterverkauft. Schmiede-, verladefromm und A-fertig.
Ich finde es immer wieder seltsam, dass solche Menschen ja auch von sich behaupten, dass sie Pferde lieben und Reiten ihr größtes Hobby ist. Also genauso wie bei mir. Und trotzdem hat es garnichts damit zu tun, was ich darunter verstehe. Komische Welt…
17. Dezember 2015 um 22:22
Da hast Du verdammt recht Anne! Aber ich bin überzeugt, dass das Selber Denken und Selber Fühlen auf dem Vormarsch ist. Wenn auch noch langsam, wenn ich mich so umsehe. Aber immerhin.
19. Dezember 2015 um 8:54
Der Artikel spricht mir aus der Seele! Wie oft stelle ich mir genau diese Fragen? Was hat mein Pferd davon genau jetzt, wenn es mir passt, von seiner Herde wegzugehen, um mit mir durch den Wald zu marschieren oder auf dem Platz irgendwelche Übungen zu absolvieren, die zum Beispiel damit zusammen hängen, dass es ständig im Kreis gehen muss. Erstmal würde ich sagen: Nichts! Der Zusatznutzen ist für es nicht erkennbar. Diese Erkenntnis frustriert mich regelmäßig erstmal. Weiterführend ist dann die Frage, Wie schaffe ich es, dass ich und das Zusammensein mit mir für mein Pony so spannend ist, dass es Interesse daran hat, mit mir zu kommen? An der Stelle freue ich mich immer aufs Neue, wenn mein Pony mir auf der Wiese entgegen kommt und frei (willig) – tatsächlich oft ohne Halfter und Co. – mit mir kommt. Aber nun geht es weiter, da ist er, der große Plan, den man im Kopf hat und oft zeigt mir mein Pferd, dass es mit mir ganz woanders ist. Wie wichtig ist also so ein Plan und wie sehr verzettelt man sich, wenn man diesen nicht hat? Und dann kommt die Frage, kann man sich überhaupt verzetteln? Geht es nicht um den Spaß, die Freude aneinander, das gemeinsame „Sein“? Aber was ist dann wieder mit den Themen Gesunderhaltung, gesundes Tragen des Reitergewichtes, regelmäßige Bewegung….und, und, und? Als wenn das nicht verwirrend genug wäre, kommen dann noch zahlreiche Meinungen von Trainern und Reiterfreunden dazu, die wieder ihre eigenen großen Pläne verfolgen. Und in all dem Wirrwarr der verkopften Gedanken lande ich wieder bei der Frage, was hat mein Pferd davon und wie geht es ihm….? Theoretisch muss jeder seinen ganz eigenen Weg finden und alles dauert so lange es dauert. Wichtig ist sicher, dass hinter dem Tun eine pferdefreundliche und -förderliche Motivation steht. Und dann muss man es nur noch hinkriegen, auch in der Praxis damit ein gutes und losgelassenes Gefühl zu haben und schon ist man beim Pferd und im Hier und Jetzt und weg von der allgemein gewohnten Leistungsorientierung des täglichen Lebens und dem Bedürfnis, dass alles produktiv sein muss. Klingt einfach und ist doch ziemlich schwer.
2. Januar 2016 um 11:10
Was für schöne Worte! 🙂 Und wie du schon sagst, ist wohl wirklich das Wichtigste im ganzen Wirrwarr tatsächlich, dass wir uns immer wieder fragen, wie es unserem Pferd dabei geht. Letztendlich ist das das Einzige, was wirklich zählt: Dass wir gemeinsam glücklich sein können 🙂
20. Dezember 2015 um 9:17
Ich kann mich dem o.g. nur anschließen. Ich bin ’nur‘ eine Freizeitreiterin und mir wurde letztes Jahr eine Reitbeteiligung in Spanien für eine PRE Stute angeboten, welche in einem spanischen Stall eingestallt war und ‚falsch‘ behandelt wurde, dann kurz eingeritten wurde – und jetzt richtig gearbeitet werden sollte – bei ihrer deutschen Besitzerin in einem Offenstall. Sie hatte Angst vor allem, hat keine Hufe gegeben, konnte nicht angebunden werden, ließ niemanden an ihre Ohren heran, ein Vorderzahn war halb ausgeschlagen (3 Mann – 1 Pferd – 1 Kandarre…), deshalb wollte sie kein Gebiss… Die Liste ist endlos. Ich hatte vorher noch nie mit einem jungen Pferd gearbeitet und bin damals erst seit ca. 6 Jahren wieder geritten. Aber ich habe sie gesehen und es war Liebe auf den ersten Blick. Also habe ich ganz langsam und mit viel Geduld und mit Bodenarbeit mit ihr gearbeitet. Heute läßt sie jeden auf sich reiten – aber manche sagen, dass sie ja auf Hilfen nicht reagiert…. Das sind dann die Reiter, die mit Ausbinder und kurzen Zügeln reiten. So bin ich sie aber niemals geritten. Sie kann inzwischen alles im täglichen Umgang (aber laut den anderen verhält Sie sich bei mir komplett anders – wenn ich da bin, bleibt sie unangebunden stehen, bis ich sie rufe, sie bleibt sogar stehen, wenn ich sie wasche (was sie immer noch hasst), sie gibt anstandslos Hufe und läßt sich überall berühren – von mir!, und sie macht Freudensprünge, wenn ich wieder zurück bin…). Wir reiten mit so wenig Einwirkung wie möglich – mit Gewichtshilfen, Stimmhilfen, langem Zügel und auf dem Platz möglichst gebisslos… Sie kann halt nicht alles – manches liegt ihr einfach nicht so sehr, aber sie gibt sich Mühe. Zirkuslektionen wie Verbeugung – das kann der Tinker dort sofort – aber Sie hat schon Schwierigkeiten, den Kopf in diese Richtung zu bekommen. Jedes Pferd ist anders. Und sollte auch so gearbeitet werden. Mir ist es wichtig, dass ‚mein‘ Pferd freudig mit mir arbeitet und von mir geritten werden kann (im Gelände und überall…). Ob andere das können, ist mir persönlich fast egal. Ich möchte ja gar nicht, dass jemand kommt und sie so einschnürt….
2. Januar 2016 um 11:12
Wie schön, dass du dich dieser Stute annimmst – sie geben uns so viel zurück, oder nicht? 🙂 Und ich denke, dass andere Menschen dies sehr wohl auch wahrnehmen und sich vielleicht ein Vorbild daran nehmen. Nur so wird sich auch in der Pferdewelt auf Dauer etwas ändern. Ich bin froh, dass immer mehr Menschen so denken wie du und ich es tun! 🙂
6. Januar 2016 um 22:01
Viele wahre Worte.
Vor dreizehn Jahren stand ich als absoluter Rookie vor der Box eines zweijährigen Friesenhengstes, hatte noch nie vorher mit einem Pferd zu tun.
Zwei Stunden, keiner wird es glauben satnd ich vor diesem herrlichen Pferd.
Seine Augen, welche mich immer im Blick hatten, ein Gefühl als schaue ich in die Ewigkeit, als durchschaue er mich…ungekannte Fastination pur!
Der Beginn meiner Pferdemania.
Ich habe endlose Bücher gelesen…tagelang Pferde im Offenstall beobachtet um zu wissen wie kommunizieren sie.
Wie verhalten sie sich untereinander…wie tickt so ein Pferd, was macht so eine Herde.
Mittlerweile habe ich verschiedene Charaktere von Pferden kennengelernt, aber die Faszination des ersten Moments hat mich bis heute geprägt, habe ich nie vergessen.
Wahre Begeisterung empfinde ich für Pferdemenschen die ihren Partner Pferd da abholen wo es sich gerade befindet.
Nicht sinnloses Durchpeitschen von irgendwelchen Abläufen weil die gerade auf dem Lehrplan stehen.
Ich bin nicht der grosse Reiter, mein Faible ist eher die Bodenarbeit und da im Besonderen Vorbereitung der Jungpferde.
Die wahren Meister fühlen ihr Pferd, ist in allen Leistungsklassen zu sehen.
Vor diesen Menschen ziehe ich den Hut und mein Ziel ist es mich dahingehend immer weiter zu verbessern, um ein selbstbewusstes und starkes Pferd an meiner Seite zu haben.
Mit grosser Vorfreude beobachte ich unseren sieben Monate alten Hengst YASIMO, ein Kracher und wir werden sehr viel Spass haben miteinander,spielerisch groß werden.
Ein Pferd ist ein Lebewesen wie du und ich,
wenn ich absolute Funktion brauche habe ich zwei Möglichkeiten:
Entweder breche ich das Pferd….oder ich kauf mir ein Hightech Fahrrad.
Ich wünsche allen fühlenden Pferdemenschen ein spannendes Jahr und viele interessante Begegnungen.
13. November 2018 um 12:19
Mein Pferd ist kein Motorrad, kein Auto, kein Fahrrad. Daher muss es auch nicht funktionieren. Das ist ja ganz schrecklich, diese Einstellung. Wenn mein Pferd leuchtende Augen bekommt, wenn der Hänger in den Hof fährt und es gar nicht erwarten kann, dort einzusteigen, dann weiß ich, mein Pferd möchte mit mir was unternehmen, weil das nämlich ihm auch Spaß macht. Und wenn mein Pferd mir sagt, dass es zu müde ist, um mich zu tragen, dann steig ich ab und laufe. Und das macht mir nichts aus und mein Pferd vertraut mir. Und wenn wir ein bisschen gymnastizierende Dressurübungen machen, damit Pferd geschmeidig bleibt, dann mache ich ihm das mit vielen Pausen und viel Lob auch schmackhaft und „übe“ nicht Lektionen bis sie uns beiden aus dem Hals kommen. Mein Pferd ist ein Lebewesen mit Gefühlen und Schmerzempfinden und durchaus auf seine Art intelligent.