Immer mehr Pferde dürfen heute Pferd sein, ein natürliches, artgerechtes Leben führen. Es geht nach und nach raus aus den Boxen, Aktiv- und Laufställe füllen sich. Wir versuchen den Pferden ein Leben möglichst nah an ihren natürlichen Bedürfnissen zu gestalten. Und dennoch konfrontieren wir im Laufe der gemeinsamen Jahre und der Zusammenarbeit die Pferde mit allerhand Unnatürlichkeiten.
Bereits ein Fohlen muss lernen, ein Halfter zu tragen. Es lernt damit zurechtzukommen, dass es am Kopf gehalten wird. Später wird es lernen, auch seine Hufe gehalten zu bekommen. Hoffentlich erst einige Jahre später lernt es, Sattel und Reiter zu tragen, einen Gurt um den Bauch zu akzeptieren, zwischen Reiterhilfen geformt zu werden und so weiter.
In all diesen Prozessen finde ich vieles hiervon: Akzeptieren, ertragen, erdulden.
Natürlich kommt es immer und überall darauf an, wie eine Situation gestaltet wird. Genauso wenig wie beispielsweise der Druck einer Schenkelhilfe per se negativ vom Pferd aufgefasst werden muss, sind all diese Lernphasen per se mit negativen Gefühlen besetzt.
Worauf ich jedoch hinauswill: Akzeptieren, ertragen, erdulden – all das beinhaltet viel Passivität von Seiten des Pferdes aus. Wenn es Glück hat, wird es für sein Aushalten in Form eines Lobes entschädigt werden. Hat es weniger Glück, wird es lernen, zu ertragen, über sich ergehen zu lassen. Ein Muss, weil es eben nicht anders geht? Ich denke, es geht eben sehr wohl anders.
Wie hört sich Folgendes für euch an: Erkunden, hineinfühlen, erfahren.
Erinnerst du dich an deinen ersten Schultag? Wie aufgeregt und nervös du warst? Was meint du, wobei hättest du schneller gelernt, konzentriert und fokussiert zu arbeiten: Indem du mit Tadel vom Lehrer hättest rechnen müssen oder aber indem du Konzentration und Fokus aktiv durch das Ausmalen eines Madalas erfahren könntest?
Ich weiß, wofür ich mich entschieden hätte und ich sehe, wofür sich meine Pferde im Alltag entscheiden. Sie wollen nicht passiv sein, akzeptieren und ertragen. Sie wollen mitarbeiten, erfahren und lernen. Weil sie die Wahl haben!
Ich wünsche mir so sehr, dass wir aufhören, unsere Pferde in Passivität zu schulen und beginnen, sie aktiv in unsere Zusammenarbeit einzubinden!
Was heißt das also in der Praxis, bei der Arbeit mit den Pferden? Im Zweifelsfall bedeutet das tatsächlich erst einmal ein „Nein“ von Seiten des Pferdes aus. Vielleicht hat es heute absolut keine Lust, sich mit dem neuen Kappzaum auseinander zu setzen. Wenn du dich daran erinnerst, wie sich Aushalten anfühlt, wirst du die Entscheidung deines Pferdes akzeptieren können.
Anstatt dein Pferd zum Aushalten zu zwingen, ermutige es lieber darin, aktiv zu werden, zu Erkunden. Manchmal hilft es, dem Pferd das gewünschte Verhalten erst einmal zu schenken. Lässt es sich vielleicht dazu animieren, den Kappzaum zu betrachten, wenn es nur für ein Hinschielen bereits freudig gelobt wird? Ich bin mir sicher, ich habe auf Dauer gesehen mehr gewonnen, wenn mein Pferd aktiv und freiwillig gelernt hat, den Kappzaum anzuschauen, als es passiv überredet zu haben, ihn bereits ganz angezogen zu ertragen.
Warum? Weil mein Pferd im Laufe der Zeit lernen wird, wie gut sich Erfahren anfühlt.
Von schönen Gefühlen kann man nicht genug bekommen – weder Pferde, noch wir. Das können wir uns zunutze machen, sind wir nur für den Anfang geduldig genug. Ich glaube, neben Geduld gehört auch eine Portion Mut dazu. Mut, dem Pferd ein Nein zuzugestehen und Mut, sein Ziel hinter die Bedürfnisse des Pferdes zu stellen.
Für meinen Mut, auf „Einsatzbereitschaft“ des Pferdes zu warten, werde ich täglich belohnt. Wenn das Pferd brummelnd am Zaun wartet, um Neues zu erlernen, bin ich mir sicher auf dem richtigen Weg zu sein. Auf dem Weg zu einem motiviertem Pferd und einem mutigen Reiter. „Ertragen“ muss das Pferd dann nur noch die Freude seines Menschen.
Übrigens: Wenn du mehr davon erfahren möchtest, wäre vielleicht eines unserer Seminar von HORSEBOND für dich interessant. Mehr dazu erfährst du hier: Horsebond.
17. September 2016 um 21:32
Vielen Dank für die wundervollen Worte, sehr inspirierend! <3
26. September 2016 um 3:38
Liebe Alessa,
wie immer ein wahrer und wunderbar geschriebener Text! Und die meisten Pferde sind super neugierig und lernwillig, wenn man ihnen erst einmal die Freiheit und Wahl lässt. Daraus folgt eine überaus große Motivation seitens des Pferdes und eben diese ganz besondere, imposante Ausstrahlung, die viele Pferde meiner Meinung nach leider verloren haben – eben weil sie ertragen müssen. Auch wenn wir Menschen mit dieser Methode auch mal ein „Nein“ seitens des Pferdes akzeptieren müssen und so mehr Ansprüche an uns als Ausbilder gestellt werden, ist es doch eine viel schönere Zusammenarbeit!
Danke für deine Gedanken und Worte,
Line