Der Wecker steht für Samstag und Sonntag auf 4:30 Uhr. Wer will schon ausschlafen, wenn er die Möglichkeit hat, ein Seminar mit Reitmeister Bent Branderup zu besuchen?
Ein paar Tage ist es nun her, dass ich das Seminar zum Thema Vorwärts-Abwärts und Versammlung in der schönen Oberschwaig besuchen durfte. Mit über 30 Seiten Mitschrift, einem rauchenden Kopf und erforenen Füßen, aber einer überschwänglichen Motivation und Lebenslust fahre ich am Sonntag wieder vom Hof. Ein bisschen was davon (ohne kalte Füße, habt ihr ein Glück!) habe ich heute hier für euch zusammen gesammelt. Ich hoffe, der Artikel schenkt auch euch neuen Input und Motivtion. Und dennoch kann ich euch sagen: einen „echten Bent“ kann es nicht ersetzen, denn man muss den Meister einmal persönlich erlebt haben!
Wer sein Pferd reiten und somit gymnastizieren möchte, kommt um diese beiden Begriffe nicht herum: Vorwärts-Abwärts und Versammlung. Der Traum vieler ist es, durch Manipulation am Kopf ein Problem zu lösen. Ist das möglich? Was passiert bei diesen Bewegungsabläufen im Pferdekörper? Gibt es ein „zu hoch“ oder „zu tief“ und wenn ja, wo liegt die korrekte Mitte?
Diese und viele weitere Fragen beschäftigten uns dieses Wochenende in der Oberschwaig. Mit einem gekonnt amüsiertem Lächeln weiß Herr Branderup jede Frage so einfach zu beantworten, dass das Reiten plötzlich gar nicht so schwer erscheint. Und im nächsten Moment schon rattern wieder unsere Köpfe – irgendwo her muss die Akademische Reitkunst ihren Namen ja schließlich auch haben…
Das Vorwärts-Abwärts
Woher das Abwärts im Vorwärts-Abwärts kommt, mag wohl jeder vor Augen haben. Doch woher kommt ein Vorwärts? Werfen wir einen Blick auf die Anatomie, erkennen wir in der Hinterhand den „Motor“ des Pferdes. Bewegung entsteht hier durch den Vorgriff der Hinterbeine. Das Becken leitet die dreidimensionale Bewegung weiter über den Rückenschwung und die Rotation des Brustkorbes bis hin zu Vorhand, Hals und Kopf des Pferdes. Schwung bedeutet also nichts anderes als eine Bewegungsübertragung aus der Hinterhand durch den ganzen Körper.
Die Wirbelsäule ist dabei das Element, welches den ganzen Pferdekörper verbindet. Eine Änderung der Kopfhaltung hat eine Änderung der Haltung der Wirbelsäule zur Folge.
Was passiert also beim Absenken des Kopfes?
Das Vorwärts-Abwärts ähnelt der Haltung beim Grasen. Schauen wir hier genau hin, sehen wir, dass beim Grasen immer ein Vorderbein blockiert ist (nämlich jenes, welches unter die Körpermasse geschoben ist). Das ist beim langsamen vor sich hin Grasen kein Problem. Beim Reiten wollen wir jedoch, dass sich das Pferd schneller vorwärts bewegt und dabei ist ein blockiertes Vorderbein eher von Nachteil.
Gehen wir von diesem Bild aus, ist ein Vorwärts-Abwärts beim Reiten dauerhaft nicht gewünscht. Als Phase der Ausbildung jedoch kann sie durchaus mehr Vor- als Nachteile aufweisen. So kann es vor allem Pferden mit kurzer Oberlinie helfen, sich zu dehnen und zu strecken. Auch die Psyche kann von einem tiefen Kopf und Hals profitieren. Wir sollten dabei aber nie die Belastung der Vorderbeine aus den Augen verlieren. Eine wunderbare Lösung kann die Arbeit im Stand sein. Hier können wir ebenfalls das Pferd in einem Vorwärts-Abwärts lösen, ohne die Gelenke großen Belastungen auszusetzen. Wir sehen also schon, dass ein gutes Vorwärts-Abwärts sicher nicht durch ein hohes Tempo definiert wird.
Zu hoch oder zu tief?
Eine zu tiefe Kopfhaltung kann dauerhaft mehr schaden als nutzen. Wie sieht das Gegenteil dazu aus?
Oft wird der Kopf des Pferdes in eine erzwungene Aufrichtung manipuliert mit dem Ziel, Gewicht von der Vorhand zu nehmen. Eine zu hohe Kopfposition führt aber gerade bei kurzen Pferden schnell dazu, dass sie Schulterblätter und Brustkorb hängen lassen. In der Folge hängt auch der Rücken durch und wir entfernen uns vom Ziel des ausbalancierten Pferdes. Eine feste Hand kann niemals die Vorhand entlasten – das kann einzig und allein die Hinterhand.
„Zu behaupten, die Schultern durch ein Kopfheben zu ändern ist genauso peinlich wie zu behaupten, einen Stuhl heben zu können, auf dem man sitzt.“
Mit diesem Zitat verdeutlicht Bent, dass nur das Bein, welches am Boden steht, Gewicht heben kann. Um die Vorhand zu heben, müssen wir also die Hinterfüße trainieren, dies ausführen zu können.
Sowohl ein „zu tief“ als auch ein „zu hoch“ kann Schäden anrichten. Ähnlich wie eine sinnvoll eingesetze Hilfe kann jedoch beides auch den Weg in die richtige Richtung weisen. Das Abwärts kann als vorübergehende Hilfe eingesetzt werden, um mit Hilfe des gedehnten Nackenbandes den Rücken zu heben. Da Bänder aber im Laufer der Zeit ausleihern, kann das Vowärts-Abwärts keine dauerhafte Lösung für einen gesunden Bewegungsablauf sein. In der späteren Ausbildung muss die entsprechende Muskulatur diese Arbeit übernehmen.
So individuell wie unsere Pferde sind, genauso müssen wir auch die Positionierung der verschiedenen Kopf-/Halshaltungen betrachten. Nur wenn wir das Individuum im Gesamtkonzept sehen, können wir eine gute Entscheidung für den Moment treffen.
Vorwärts ist nicht gleich schnell
Wie tief das Pferd mit Kopf und Hals kommen darf, entscheidet die Hinterhand. Je weiter die Hinterbeine unter den Körper greifen können, desto weiter kann der Hals in die Tiefe gestreckt werden, ohne dass der Schwerpunkt des Pferdes zu weit auf die Vorhand gerät.
Die Qualität eines Vorwärts-Abwärts erkennt man daran, dass die Hinterhand mitkommt. Nur dann hat dieses Halsgymnastik einen Wert. Und nur dann können wir auch tatsächlich von einem „Vorwärts“-Abwärts sprechen.
Das Vowärts darf hier (und auch sonst nie) aber keinesfalls mit Schnelligkeit gleichgesetzt werden. Denn ein Pferd kann sehr schnell seine Beine bewegen, ohne dabei die Hinterbeine nach vorne unter den Körper zu setzen. Vorwärts meint das Vorschwingen der Hinterhand unter die Körpermasse. Und dies kann unabhängig von Geschwindigkeit betrachtet werden.
„Was du in der Hand hast, hast du hinten nicht getan.“
Mit dieser Aussage verdeutlicht Bent Branderup, dass eine Manipulation am Pferdekopf alleine nicht zweckmäßig ist. Wie bereits zu Beginn angesprochen, entsteht der Bewegungsfluss in der Hinterhand des Pferdes. Spiegelt die Hinterhand nicht, was im Kopf- und Halsbereich passiert, so ist dieser Bewegungsablauf mit Ziel eines gesunden Reitpferdes kontraproduktiv, „sei es auch noch so schön anzusehen“.
Wo zwischen zu hoch und zu tief ist nun also die beste Kopfposition des Pferdes?
„Die beste Kopfposition ist da, wo der Rücken am besten schwingen kann“
löst Bent das Rätsel. Eine zu hohe oder zu tiefe Kopfposition verhindert, dass der Schwung von der Hinterhand über den Rücken übertragen werden kann.
Wo in der Wirbelsäule der Schwung stecken bleibt, spürt eine fühlende Hand. Die Reiterhand sollte also stets in erster Linie ins Pferd horchen und weniger Informationen an das Pferd senden. So verrät Gewicht in der Hand immer, dass das Pferd Gewicht auf der Vorhand hat. Denn man kann rein von der Physik her betrachtet nicht dort Druck machen, wo man sich nicht auch hin lehnt. Viel Gewicht in der Hand kann also nicht korrekt im Sinne einer Balance im Körper sein.
„Gewicht in der Hand zu haben ist für moderne Reiter verlockend, weil die Gänge dann gleichmäßig erscheinen. Nämlich gleichmäßig schlecht.“
Harte, aber wahre Worte eines Reitmeisters.
Erzwungene Entspannung?
„Spannung und Schwung schließen sich gegenseitig aus!“
Nicht unabsichtlich verwende ich oft den Begriff der Manipulation am Pferdekopf. Denn nichts anderes ist es, wenn wir dort – sei es am Kappzaum, am Gebiss oder gebisslosen Zaum – einwirken. Wenn wir dem Pferd eine Vorwärts-Abwärts-Bewegung vermitteln wollen, haben wir oft auch das Ziel von physischer Entspannung im Kopf. Doch wie kann sich der Geist entspannen, wenn der Körper zu etwas gezwungen wird? So greift Bent gerne auch mal zum Leckerli, um den Pferden das Abwärts auf entspannte Art beizubringen. Denn nichts ist sinnfreier als eine erzwungene Entspannung, oder etwa nicht?
Wird die Frage nach einem Abwärts also stets als Angebot und nicht als Befehl ans Pferd getragen, so kann diese Bewegung auch tatsächlich Entspannung für Körper und Geist mit sich bringen.
Woran erkenne ich also ein gutes Vorwärts-Abwärts?
- Das Pferd ist entspannt und nimmt das Abwärts gerne und freiwilig an
- Die Vorderbeine schwingen in Richtung Pferdemaul
- Die Hinterhand schwingt unter den Schwerpunkt
- Die Vorhand schiebt nicht vermehrt unter den Körper
Um es mit den Worten des Reitmeisters auf den Punkt zu bringen:
„Wann ist ein Vowärts gut? Wenn wir versammeln können.“
Die Versammlung
Wenn wir unsere Pferde formen, müssen wir überlegen, mit welchem Ziel wir dabei arbeiten. Was ist ein korrekter Bewegungsablauf?
Herr Branderup bringt das einprägsame Bild eines Mustanghengstes, der sich über die Bewegungen der heutigen Sportpferde schlapp lachen würde. Deren Aktion der Beine (auf gut deutsch „Strampeln“) wäre in den Augen des Mustangs absolut kontraproduktiv, ein solches Pferd fürs Überleben nicht gerüstet.
Stellen wir uns also erneut die Frage, was eine gute Bewegung ist: Ist es das, was ein Richter sehen will oder das, was auf natürliche Weise unsere Pferde gesund und überlebensfähig erhält?
Mit diesem Hintergrund können wir nur für das jeweilige Individuum entscheiden, was richtig oder falsch ist. Ein Streben nach Natürlichkeit ist aber in Hinsicht auf die Gesunderhaltung der Pferde das einzig Logische.
Doch was bedeutet nun Versammlung?
„Versammlung ist nicht ein langsamer werden, sondern eine Mehrtätigkeit der Hinterhand.“
So wie wir eine ideale Kopfposition (für den Moment) zwischen einem zu hoch oder zu tief finden, suchen wir nach einer idealen, natürlichen Balance zwischen Versammlung und Vorwärts.
Woran erkenne ich also eine gute Versammlung?
- Die Aufrichtung steht in Relation zum Absenken der Hinterhand
- Als Resultat verspüren wir mehr Leichtigkeit in der Hand
- Das Vorwärts fühlt sich danach leichter an
„Irgendwo zwischen Versammlung und Vorwärts liegt die schönste Gangart, die goldene Mitte bei diesem einen Individuum.“
In der Praxis des Seminars finden wir große Unterschiede in Exterieur und Interieur der Pferde. Genauso unterschiedlich ist auch der Einsatz von Vorwärts und Versammlung, von hoher und tiefer Kopfposition und allen weiteren Hilfen.
Denn ein Werkzeug alleine kann nichts:
„Ein Stück Metall in die Reithalle geworfen bringt keine Piaffe“
Im richtigen Einsatz mit der Reiterhand und allen weiteren zusammenspielenden Hilfen aber kann das Stück Metall ein wunderbares Hilfsmittel sein. Genau so geht es uns mit allen Hilfsmitteln – sei es eine Gerte oder ein Sattel oder eben ein Vorwärts-Abwärts oder eine Versammlung.
Das Werkzeug alleine führt zu nichts. Bilden wir jedoch all diese Werkzeuge aus und sammeln sie in unserer Kiste, so können wir ganz individuell und flexibel bei Problemen helfen. Und dann wird eine Hilfe eben das, was sie sein sollte: Eine Kommunikation mit dem Ziel, sich gemeinsam besser zu fühlen.
Zum Schluss möchte ich euch noch ein letztes Zitat des Reitmeisters Bent Branderup mit auf den Weg geben. Es verdeutlicht auf die typisch humorvoll intelligente Art des Meisters (die mich ständig Schmunzeln lässt), wie viel es zwischen Schwarz und Weiß, zwischen gut und schlecht, zwischen Vorwärts und Versammlung gibt:
„Das Problem bei der Frage um Huhn oder Ei ist: man vergisst, dass es auch einen Hahn gibt!“
Ich möchte mich bei Claudia Strauß bedanken für die gelungene Organisation in der schönen Oberschwaig und deinen einfühlsamen Unterricht.
Danke Pia Haas für deine inspirierende Art und alles, was ich von dir schon lernen durfte.
Ein großes Dankeschön für einen unglaublich bereichernden Austausch zur Akademischen Reitkunst und darüber hinaus geht an meine Kolleginnen Kati und Miri.
Der größte Dank geht wie immer an Khayman, mein Wunderpferd, der mich mich einer Engelsgeduld und doch ehrlicher Strenge lehrt, zu fühlen und zu sehen.
28. Oktober 2016 um 8:58
Ganz toll geschrieben liebe Alessa!
Danke für diesen tollen Artikel, er regt einfach sehr zum nachdenken an und inspiriert total 🙂
28. Oktober 2016 um 10:33
Das freut mich sehr, vielen Dank für eine lieben Worte! 🙂
28. Oktober 2016 um 11:21
Richtig toll, regt zum Nachdenken an, auch dann, wenn man gerade kein Pferd hat, mit dem man das Gelesene ausprobieren kann. Schön geschrieben und einfach erklärt. Vor allem die Zitate gefallen mir sehr gut und veranschaulichen das, was manchmal eher schwer zu verstehen ist..
28. Oktober 2016 um 13:31
Vielen Dank für dein schönes Feedback liebe Sarah!:)
28. Oktober 2016 um 14:28
Super Artikel! Ist super schön geschrieben wie immer und ist echt eine Inspiration für den Alltag! Bin schon ganz gespannt was ich alles ausprobieren werde mit meinem Pferd… Lg
28. Oktober 2016 um 21:22
Toller Artikel
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