Wir alle halten unsere Pferde heute, weil wir uns ihre Nähe wünschen. Wir müssen nichts erreichen, doch wir wollen viel. Sicherlich wollen wir vor allem auch ein Pferd, das lange und gesund an unserer Seite ist. Doch Abreitplätze auf Turnieren und auch die heimischen Reitplätze zeigen oft Bilder, die diese Absicht in Frage stellen. Wir alle wollen gesund reiten, gut reiten. Doch woran orientieren wir uns dabei? Ob die erfolgreichen Reiter auf internationalen Wettkämpfen dabei unsere Vorbilder sein können, ist fraglich.
Bei der siebten Fachtagung von Anja Beran zum Thema Blickschulung erhalte ich spannenden Einblicke. Einblicke in die Reiterei, wie sie heute oft praktiziert wird und in jene, die heute langsam in Vergessenheit zu geraten scheint: die Reitkunst der alten Reitmeister.
Das Ziel der klassischen Dressur
Die klassische Dressur soll uns dabei helfen, in unserem Pferd einen motivierten, zufriedenen und vor allem gesunden Partner zu finden. Dabei finden wir sowohl in den Schriften der alten Reitmeister, als auch in den Richtlinien der FN eine übereinstimmende Definition von Reitkunst.
Was ist klassische Dressur?
- die klassische Dressur orientiert sich an der Natur des Pferdes
- dementsprechend sind unnatürliche Bewegungen nicht erstrebenswert
- sie nimmt Rücksicht auf Körper und Psyche des Pferdes
- die drei Grundgangarten sollen erhalten bleiben oder gar verbessert werden
- das Ziel ist ein Pferd, das bis ins hohe Alter gesund bleibt
Um den Zielen der klassischen Dressur und damit auch dem Wohl des Pferdes gerecht zu werden, dürfen wir nicht in festgefahrenen Schemen denken. Wir müssen lernen, individuell auf das jeweilige Pferd und seine Bedürfnisse einzugehen. Klassikausbilderin Anja Beran beschreibt dies als „reiterliche Diagnose“. Als Reiter ist es unsere Aufgabe, herauszufinden, was der Natur des Pferdes entspricht. In diesem Sinne ist es tatsächlich oft wenig sinnvoll, sich an Vorbildern zu orientieren, die zum Beispiel einen ganz anderen Pferdetyp unter sich haben.
Wenn ich tanzen will, dann tanze ich so wie es mir gefällt.
Zu diesen gesungenen Zeilen aus dem Musical „Elisabeth“ eröffnen Anja Beran und ihre Hauptbereiterin Vera Munderloh die heutige Veranstaltung mit einer wunderbar leicht gerittenen Vorführung auf ihren Pferden. Im Laufe des Tages findet sich eine bunte Mischung an Pferden in der Arena ein und sie alle werden mit einfühlsamer Hand im Sinne der klassischen Dressur ausgebildet. Obwohl hier sicherlich einiges an Potenzial schlummert, steht nicht die Präsentation des Vermögens eines Pferdes im Vordergrund. Es geht stets darum, jedes Pferd in seinem Rahmen zu fördern, seine Persönlichkeit anzuerkennen und sich an dem zu erfreuen, was es einem bereits anbietet.
„Was wir in die Finger kriegen, wird ausgebildet.“
erklärt die Ausbilderin mit einem Schmunzeln im Gesicht. In ihren Augen ist jedes Pferd gleich wertvoll und geeignet für die Dressur, egal ob es sich hierbei um einen Haflinger oder ein Warmblut handelt. Ernster wird sie, als es um das Thema Jungpferdeausbildung geht.
Jungpferdeausbildung – ein Rohdiamant in unseren Händen
„Wir leisten uns so viel, wenn es um unsere Pferde geht. Eine gute Kinderstube sollte dabei ebenfalls drin sein.“
Wenn man bedenkt, dass es bereits Prüfungen für dreijährige Pferde gibt, weiß man, dass diese tatsächlich keine Kindheit gehabt haben können. Um ein solch junges Pferd erfolgreich vorstellen zu können, müssen sie bereits spätestens zweijährig gearbeitet werden. Mit dem Wissen, dass sich die Wachstumsfugen unserer Pferde erst sechsjährig schließen, sind schwerwiegende gesundheitliche Folgen eines zu frühen Trainings nur noch eine logische Konsequenz.
Um solche Kinderarbeit zu unterbinden, drängt sich unweigerlich die Forderung auf, dreijährige Pferde nicht auf Wettkämpfen vorstellen zu dürfen. Hier sind Organisationen wie die FN gefragt, etwas zu ändern – der Gesundheit unserer geliebten Partner zu Liebe!
Wie schonend und harmonisch man ein junges Pferd an den Reiter gewöhnen kann, zeigt uns Vera Munderloh mit der Präsentation eines jungen Warmbluthengstes aus dem Landesgestüt Schwaiganger. Mit einem deutlich offenen Genick, einem frischen und ungebrochenen Vorwärts und vor allem einem einer entspannten Ruhe läuft das Jungpferd seine Runden in der Arena.
„Wir müssen unsere Remonte führen, aber noch nicht formen!“
beschreibt Anja Beran die Arbeit mit den jungen Pferden.
Wie sollte die Arbeit mit Jungpferden aussehen?
- Start frühestens ab drei Jahren
- keine sich widersprechenden Hilfen
- keine Ausbinder! Das junge Pferd braucht seinen Hals als Balancierstange
- Führen, aber nicht formen
Der Schritt: die in Vergessenheit geratene Gangart
Um die Gesundheit unserer (Reit-)Pferde zu gewährleisten oder gar zu verbessern, dienen uns die Seitengänge als wichtiges Werkzeug. Diese, wieder einmal sinngemäß eingesetzt je nach körperlichen und psychischen Gegebenheiten, können uns dabei helfen, das Pferd zu lösen, es zu mobilisieren und letztendlich geradezurichten.
„Man will piaffieren, bevor man Schritt reiten kann.“
Gerade bei der Arbeit an den Seitengängen ist das besondere Augenmerk auf den Schritt hervorzuheben. In dieser ruhigen Gangart haben wir nicht nur die meiste Zeit, um zu analysieren und zu fühlen. Wir können hier auch am einfachsten die Rückentätigkeit des Pferdes beurteilen. Denn wo sich das Pferd in Trab oder Galopp durch Schwung helfen kann, so muss es in der Gangart ohne Schwebephase tatsächlich seine Rückenmuskeln wechselseitig an- und entspannen. Kann es dies zum Beispiel auf Grund einer zu harten Handeinwirkung nicht mehr, sieht man die Probleme sehr schnell und deutlich.
Die Gangart Schritt scheint heute jedoch oft in Vergessenheit geraten zu sein. Viel schlimmer: oft sieht man gerade in dieser Gangart den Verfall der Reitkunst. Wenn hoch dotierte Pferde aus dem heutigen Sport einen Schritt weit ab von einem klaren Viertakt zeigen, sieht man, wie weit sich in den letzten Jahren moderner Reitsport und klassische Reitkunst auseinander bewegt haben.
Irrtümer des Reitsports deutlich gemacht
Diese deutliche Schere verdeutlicht die Fachtagung mit ausdrucksstarken Bildern. Mit in stilisierte Scherenschnitte umgewandeltem Videomaterial verdeutlicht uns die Klassikausbilderin, woran man gute Dressur im Sinne der Natur des Pferdes erkennt. Auf der anderen Seite zeigen Videoschnitte auf eindrückliche Weise, wie selbst hoch dotierte Sportpferde extrem unnatürliche Bewegungsabläufe weit weg von jeglichen Richtlinien zeigen.
Viele Lektionen werden heute in der Fachtagung analysiert. Ganz besonders einprägsam fand ich dabei die genaue Betrachtung der heute sehr beliebten Lektion: Der Trabverstärkung. Obwohl der Trab wohl die unnatürlichste Gangart eines Pferdes ist – um es mit Frau Berans Worten auszudrücken: „Würde ein Pferd im Trab fressen oder gemütlich im Trab fliehen? Wohl kaum.“ – ist gerade die Trabverstärkung DIE Lektion, an der die Qualität eines Pferdes gemessen wird.
Anhand zweier Videosequenzen erkennen wir gut, worauf es bei dieser Lektion tatsächlich ankommt.
Was macht eine gute Trabverstärkung aus?
- die Nase befindet sich deutlich vor der Senkrechten
- das Genick ist der höchste Punkt
- das Vorderbein tritt dorthin, wo es hinzeigt
- das Pferd zeigt einen deutlichen Raumgewinn
- der Reiter sitzt im Lot oder etwas davor
Spätestens der letzte Punkt widerspricht sich so ziemlich mit allen Bildern, die wir aus heutiger Zeit von einer gerittenen Trabverstärkung kennen. Um wieder die Natürlichkeit als erstrebenswertes Ziel der Dressur aufzuführen, müssen wir uns vor Augen halten, wie deutlich die heutige Reiterei davon abweicht. Die Abbildung zeigt ganz klar ein Bild, welches keines der Kriterien einer guten Trabverstärkung erfüllen kann: das Pferd ist im Hals zu eng, der Rahmen erweitert sich nicht, es macht keine Meter, der Reiter sitzt in Rückenlage und blockiert den Schwung des Pferdes, jegliche Natürlichkeit der Bewegungen kommt abhanden.
Dieses eindrucksvolle Beispiel ist kein Einzelnes und leider auch kein Seltenes.
Ein Appell an die moderne Pferdewelt
Ohne im Speziellen zu verurteilen, mahnen die klaren Worte Frau Berans uns alle, dass die heutige Reiterei auf einem falschen Weg ist. Weg von der Natur, von Harmonie und Respekt entwickelt sich der moderne Dressurport hin zu einem Marionettentheater. Die Folge sind nicht nur unnatürliche (wenn auch spektakulär anmutenden) Bewegungsabläufe. Die schwerwiegenden Folgen heutigen Pferdesports sehen wir überall: Pferde, die noch bevor sie überhaupt ausgewachsen sind, bereits große Schäden am Bewegungsapparat aufweisen. Pferde, die nicht nur physisch, sondern vor allem auch psychisch völlig am Ende sind.
Ganz klar geht es hierbei nicht darum, keine Fehler machen zu dürfen. Fehler sind menschlich und lassen sich weder vom Anfänger noch vom Profi vermeiden. Doch es geht darum, sich zu besinnen. In wem finden wir Vorbilder für unsere Pferdeausbildung? Was ist unser Ideal, wonach streben wir?
Für mich ist wieder einmal deutlich geworden, dass dies nicht der moderne Reitsport sein kann. Auch wenn es Ausnahmen geben mag, dominiert im Turniersport die scheinbar nicht zu stillende Gier nach spektakulären Präsentationen. Die Natur des Pferdes gerät in den Hintergrund.
Doch sind wir alle nicht Reiter, weil wie die Pferde mit all ihrer Natürlichkeit so lieben? Weil wir fasziniert sind von ihrer Stärke, ihrer Präsenz und ihrem Ausdruck? Mein Wunsch wäre es, dass wir uns zurück besinnen. Darauf, was wirkliche Reitkunst ist. Die Kunst, ein Pferd als gleichwürdigen Partner anzuerkennen. Es für seine Macken genauso zu lieben wie für seine Stärken und es mit Wohlwollen so zu fördern, dass wir beide daran wachsen können. Lasst uns den Luxus ausleben, uns Zeit zu lassen. Diese Zeit auf dem Weg der Pferdeausbildung kann man genießen – denn wir müssen nicht kämpfen, nicht ziehen und zerren. Wir können mit unseren Pferden genauso leise und sensibel kommunizieren, wie sie es verdient haben. Denn dann wird unsere Kommunikation zur Kunst, das Reiten zum Tanz:
Wenn ich tanzen will, dann tanz‘ ich so wie’s mir gefällt, ich allein bestimm‘ die Stunde ich allein wähl die Musik. Wenn ich tanzen will, dann tanze ich auf meine ganz besondre Art, am Rand des Abgrunds, oder nur in deinem Blick. Wann ich tanzen will und mit wem ich tanzen will, bestimm‘ nur ich allein.
Wenn ihr mehr zu der Arbeitsweise von Anja Beran erfahren wollt, rate ich euch unbedingt eine ihrer Veranstaltungen zu besuchen. Hier erfahrt ihr mehr dazu.
Für die kalten Wintermonate lässt es sich auch wunderbar in ihren Werken schmökern, zum Beispiel in ihrem Buch „Der Dressursitz“, erschienen im Crystal Verlag:
3. Januar 2017 um 12:36
Ein toller Beitrag!
Schön und verständlich geschrieben. Tut immer wieder gut sich durch deine Berichte den eigenen Weg vor Augen zu halten und hier und da vielleicht etwas daran zu ändern. Danke dafür Alessa 🙂
20. Januar 2017 um 13:09
Ein absolut kompetenter und toller Beitrag.
Aaaber – wie sieht es denn in der Wirklichkeit aus, bei Bereitern, Trainern, „hochqualifizierten“ Reitlehrern und nicht zuletzt bei den Richtern???
Wer genehmigt sich denn heute noch den Luxus „Zeit“, um sein Pferd altergemäß und typgerecht auszubilden oder ausbilden zu lassen?
Wie kann es sein, daß es Bereiter gibt, die den Besitzern nicht gestatten, in ihrer Anlage beim Beritt dabei zu sein? Und das über Wochen!
Wie können Reiter, die sich Pferdefreunde nennen, sich so etwas gefallen lassen. Niemals würde ich mein Pferd in so einen Berittstall geben!
Wie kann es geschehen, daß auf Turnieren Elitereiter ihre Pferde mit den Sporen wundstechen und trotzdem hohe Wertungsnoten bekommen?
Die Zügel so kurz nehmen, daß sich die Pferde „in die Brust“ beißen und trotzdem gewinnen?
Und das sind nur wenige Beispiele, die ich selber erlebt habe, ich schreibe hier nichts nur vom Hörensagen.
Solange von „oben“ nichts geändert und geahndet wird, wird sich auch nichts zum Wohle des Pferdes tun.
Und solange für viele Reiter, auch Nachwuchsreiter, ein Pferd nur ein „Sportgerat“ ist und abgeschafft wird, wenn is nicht „funktioniert“, dann kann da was nicht stimmen.
Ich wünsche mir, daß die Nachwuchsrichter, egal bei welchen „alten“ Richtern sie hospitieren, den Mut haben, dieser Natürlichkeit des Pferdes Rechnung zu tragen und entsprechend zu richten.
Und auch den Mut haben, Fehler der Reiter entsprechend zu bewerten.
Was dann leider passieren kann – auch das habe ich erlebt – ist, daß sie dann zu Turnieren nicht mehr eingeladen werden. Und das ist traurig.
Wie sagt man so schön? Der Fisch stinkt vom Kopf!
18. Februar 2017 um 10:08
Liebe Gudrun,
ich kann deine Worte so nur unterschreiben. Auch ich erlebe immer wieder diese Situationen und bin oft genug fassungslos. Aber ich denke, wir alle können etwas ändern. Sei es nur, dass wir Turniere boykottieren. Unsere Meinung laut sagen und dazu stehen. Und selbst ein Beispiel sind, wie es anders aussehen kann!
Bei Anja Heran war übrigens eine junge Richteranwärterin anwesend, die sich all das angehört hat und meinte, dass sie versuchen wird, das auch in der Praxis umzusetzen. Ich hoffe, es wird sich bald etwas ändern!
13. März 2017 um 15:17
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