Heute möchte ich ein Thema mit euch beleuchten, welches in der Reiterwelt wohl genauso festgefahren ist wie der Irrglaube, dass ein Pferd zum Loben fest geklopft werden muss oder dass auf einen Pferdehuf ein Eisen gehört.
Bewusst gemacht hat mir das heute mal wieder Khayman, mein größter Lehrmeister. Gemeinsam sind wir ins Gelände aufgebrochen, nach vielen Wochen waren wir endlich mal wieder eine große Runde unterwegs. Bei strahlendem Sonnenschein zog es eine Menge Leute nach draußen und so herrschte ein reges Gewusel, selbst in den Wäldern und auf den Feldern. Lange Zeit trug Khayman mich tapfer voran, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch irgendwann merkte ich, wie er sich immer schwerer tat, unerschrocken voran zu laufen und wie er doch immer mal wieder zögerte und unsicher wurde.
Von meinen Zeiten in einer klassischen (leider nicht klassisch im Sinne der alten Reitlehre) Reitschule habe ich noch die Befehle der Reitlehrer im Kopf, dass man sich hier eben durchsetzen müsse – das Pferd müsse unsere Entscheidungen bedingunslos akzeptieren. Doch ist es wirklich das, was uns, Khayman und mir, hier helfen würde? Würde es Khayman helfen, seine Unsicherheit zu bekämpfen und würde damit sein Vertrauen gestärkt werden? Würde er sich in der nächsten schwierigen Situation gerne auf mich verlassen wollen oder lieber doch seine eigene Entscheidung treffen? Ich denke, die Antwort darauf kann sich jeder selbst geben…
Wie also kann ich die Situation so gestalten, dass ich Khayman helfen kann, ohne dabei mein eigentliches Ziel (nämlich unerschrocken voran zu gehen) aus den Augen zu verlieren? Eigentlich ist es ganz einfach: Indem ich Khaymans Selbstbewusstsein stärke und nicht wie im obig beschriebenen Fall schwäche durch strafende Hilfen und böse Worte.
Stattdessen habe ich also einen ganz einfachen Weg gewählt, der vielen Reitern offenbar doch so schwer fällt: Ich bin abgestiegen und habe geführt. Ich habe Khayman geholfen, selbstbewusst auf dem Weg zu bleiben und ihm gleichzeitig gezeigt, dass er sich auf mich verlassen kann. Zusammen waren wir stark genug, um ohne Stress all die Menschen, Feldmaschinen und Dörfer zu passieren. Und als ich mich wieder in den Sattel schwang, hielt dieses Gefühl auf wunderbare Weise an und durch das nächste Dorf waren wir wieder nur mit 4 Füßen unterwegs – ganz entspannt und selbstbewusst!
Das Absteigen sehen viele Reiter leider immer noch als eine Art Aufgeben und Schwäche zeigen an. Doch in meinen Augen (und ich denke auch in denen der Pferde) ist es ganz im Gegenteil ein Akt der Wertschätzung und des Respektes gegenüber dem Pferd. Für solch einen vorausschauenden, fürsorglichen Reiter wird sich jedes Pferd gerne bemühen, da bin ich mir sicher.
Für mich war dies heute wieder eine Bestätigung dafür, auch in Zukunft den Sattel zu verlassen, wenn mein Pferd mich an seiner Seite braucht. Denn sein Vertrauen ist mir so viel mehr wert als jeglicher falscher Stolz!
Ihr habt generell oft die Angst im Sattel mitreiten? Dann schaut doch mal hier bei dem spannenden Interview mit Babette Teschen und Tania Konnerth von den Pferdefreunden vorbei.
16. Mai 2015 um 19:26
Toller Artikel! Für mich ist es schon lange selbstverständlich, dass ich absteige, sobald das Pferd (oder ich) unsicher wird. So habe ich schon manche heikle Situation entspannt gemeistert. Ich freue mich sogar jedes Mal, wenn ich merke, wie mir das Pferd vertrauensvoll folgt und seine Angst überwindet.
Wir haben ja alle mal Angst, wer würde dann nicht lieber einen mutigen und verständnisvollen Führer wollen anstatt jemanden, der einen durch die Situation „durch prügelt“? Wen respektieren wir danach mehr?
16. Mai 2015 um 20:01
Ein toller Artikel!
Ich steig auch immer ab, sobald etwas ist, das mein Pferd verunsichert. Für uns ein guter Weg, um mit schwierigen Situationen (zB Wassersprenger die plötzlich angehen 😉 ) umzugehen – vor allem wenn man nicht der mutigste Reiter ist.
Darüber hab ich vor einer Weile auch auf meinem Blog http://www.pferde-freunde.com berichtet. 🙂
Liebe Grüße
Karo
16. Mai 2015 um 21:38
Hey Alessa, wieder so ein wunderbarer Artikel. Diesen Satz „das Pferd muss da jetzt durch..“ – den habe ich auch schon ein zwei mal gehört und nie verstanden, wieso es da durch muss mit Zwang und Kraft. Wie soll das Pferd da Vertrauen gewinnen in sich und seinen Menschen wenn es mit Gewalt durchgezwungen wird. Dein Weg mit Khayman zeigt, dass es auch anders geht und so viel besser mit Geduld und Einfühlungsvermögen. Ich freue mich immer von Dir zu lesen. Alles Liebe, Petra
17. Mai 2015 um 12:30
Hi, Schöner Artikel ich habe das auch immer so gemacht wenn mein Pferdchen nicht vorgehen möchte dann mach ich das für ihn. Die Leidstute geht ja auch vor ran um ihrer Herde Sicherheit zu geben, also warum sollte der Mensch nicht auch vorgehen wenn es mal nötig ist?
Liebe Grüße Laura
17. Mai 2015 um 13:51
Ein sehr schöner Artikel, der wider mal zum Nachdenken anregt. Ich habe ein ganz ähnliche Meinung darüber und ich finde man sollte sich für das entscheiden, wo man seinem Pferd die größte „Sicherheit“ bieten kann. Es beiden (dem Reiter und dem Pferd) nicht wenn das Pferd verunsichert ist und nach Hilfe fragt und der Reiter sich oben verunsichert festklammert. Allerdings gibt es auch Reiter, die im Sattel viel sicherer sind und von „oben“ ihrem Pferd diese Sicherheit bieten können. Ich bin auch eher der Mensch, der schwierige Situationen vom Boden regelt und deswegen unteranderem an der Straße eher führe als reite. Gestern entschied ich mich, als nah bei unserem Reitplatz ein Heißluftballon startete, oben zu bleiben. In dieser Situation fand ich persönlich es zu gefährlich vom laufenden Pferd zuspringen, da sie sich nicht beruhigen wollte. Im nachhinein bin ich aber auch froh meinem in panikgeratenen Pferd auch mal von oben die Sicherheit gegeben zu haben, die es brauchte.
Ich glaube es ist immer von der Situation und dem Reiter-Pferd-Paar abhängig ob es sin voll wäre abzusteigen 😉
Liebe Grüße
17. Mai 2015 um 18:26
Liebe Alessa,
ein guter und wie ich finde auch wichtiger Artikel auch an alle da draußen, die denke, dass es eine Schwäche des Reiters wäre, abzusteigen.
Mit meiner letzten Reitbeteiligung hatte ich mal ein sehr unschönes Erlebnis auf dem Reitplatz. Bis heute weiß ich nicht, was der Auslöser war, aber sie fing plötzlich an zu buckeln. Ich habe das Rodeo bestimmt 5 bis 10 Minuten mitgemacht und alle die es gesehen haben, meinte nur: „Du darfst jetzt nicht absteigen, das merkt die sich.“ Ich bin trotzdem irgendwann abgestiegen. Mir war meine Gesundheit einfach lieber. Und nein, die Stute hat danach nie wieder gebuckelt. Ich finde, es geht auch um solche Punkte wie die eigene Sicherheit, wenn man sich entscheidet abzusteigen.
Ich glaube auch, dass ich mein eigens junges Pferd überfordern würde, wenn ich in einer unsicheren Situation oben sitzen bliebe, wo ich ihm von unten mehr Sicherheit geben kann.
Viele Grüße, Saskia
18. Mai 2015 um 8:17
hallo alessa
auch ich begegne meinen pferden mit vertrauen statt dominanz. denn gerade bei meiner vollblut stute würde nicht’s anders funktionieren. sie würde sich eher tod schlagen lassen anstatt etwas zu tun das sie nicht mag.
jedoch steige ich trotzdem nur ab wenn ich sowieso ein stück gehen möchte.
wenn eine erschreckende situation ist, bekommen die pferde alle zeit die sie brauchen, um sich zu beruhigen, sich der situation zu stellen. ich richte sie aus der distanz die ihnen angenehm ist in die entsprechende richtung au der das sogenante „ungeheuer“ kommt & unterstütze sie dann indem ich sie mit meiner ruhe, geduld, zuversicht & meinem 1000% vertrauen in sie bestercke. mit ihnen beruhigend rede & sie gleichzeitig besterckend streichle.
nach der für das pferd nötigen zeit, gehen sie ohne druck, angst oder sonstiges von sich aus weiter. und das nächste mal ist das „ungeheuer“ schon gar kein problem mehr, schon gar nicht wenn ab und zu eine streichelnde hand über hals streicht.
ich habe es noch niemals erlebt, dass so mit dieser weisse, obwohl ich ja nicht absteige sich ein pferd sich verweigert.
es gibt also auch trotz nicht absteigen einen weg, der auf respekt & vertrauen basiert, der überhaupt nichts mit falschem stolz zutun hat.
liebe grüsse
babs
18. Mai 2015 um 11:14
wie schön zu lesen, dass auch andere so denken!
Nach einem Unfall mit meinem Großen (ein Trecker streifte uns!), war alles Große einfach gefährlich. Ich bin wohl 1000x ab- und aufgestiegen, hab ihn durch solche Situationen geführt, bis er merkte, dass es tatsächlich nichts mehr macht. Er findets immer noch nicht toll, aber kann damit umgehen.
Viele sagte „da muss er durch, bloß nicht absteigen, er nimmt dich nicht mehr ernst“! Das Gegenteil ist der Fall. Es hat sich gelohnt!
22. Mai 2015 um 12:47
Toller Artikel. Endlich mal jemand, der es ausspricht. Man sollte keine Scheu haben auch mal abzusteigen und dem Pferd die Sicherheit geben, die es braucht. Ich steige immer ab, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Pferd wirklich Angst hat und mich als Führer braucht. Es bringt nichts, wenn der Reiter ebenfalls unsicher wird und das Pferd dann auch unsicher ist. Lieber die Sicherheit von unten geben, als sie von oben zu nehmen. Danke für den tollen Artikel 🙂
31. Mai 2015 um 20:46
Wirklich toll!
Wer seinem Pferd zuhört,
versteht,
wenn es wissen lässt das es Zeit ist abzusteigen.
Es sind nicht nur die „schwierigen“ Situation, in denen sich das Pferd scheinbar unsicher fühlt, sondern einfach das Bedürfnis nicht mehr tragen zu wollen und „gemeinsam“ zu gehen.
20. August 2015 um 11:40
Das liegt wohl am Pferd. Ich wäre von unten machtlos, wenn mein Pferd Panik hat. Ich könnte sie nicht halten, was böse enden kann , wenn sie sich los reisst. Deshalb bleibe ich lieber sitzen.
Beim Pferd meiner Tochter kann ich dagegen sehr gut absteigen. Sie vertraut uns bedingungslos, wenn wir sie führen.
20. August 2015 um 19:58
Hallo Alessa,
ein wunderbarer Artikel. Wie auch schon Petra von der Pferdeflüstererei geschrieben hat, ist es nicht sinnvoll ein Pferd mit Zwang und Kraft durch etwas hindurchzuzwingen, vor dem es sich fürchtet. Es geht den Pferden nicht anders als uns Menschen: Furcht und Gewalt führen mitnichten zu Vertrauensaufbau.
Die Lösung, die Du für Khayman und Dich gefunden hast, zeigt, dass die gewählte Alternative mit Geduld und Einfühlungsvermögen auf eine viel angenehmere Art zum Ziel führt.
Übrigens hat auch Sarah mit ihrem Pferd eine solche Vorgehensweise gewählt, wie hier nachzulesen ist: http://mobiler-pferdefluesterer.de/ein-ausritt-mit-individueller-musik/.
Nun ist es ja nicht so, dass sich nur Pferde fürchten können. Menschen geht es manchmal genauso. Ich glaube, heutzutage würde niemand auf die Idee kommen, einen Menschen mit Gewalt zwingen zu wollen, z.B. einen Ausritt zu genießen. Um solche Ängste zu besiegen gibt es ebenfalls viel angenehmere Methoden: http://mobiler-pferdefluesterer.de/aengste_besiegen_mit_musik/.
Warum sollten wir also Probleme noch mit Mitteln zu lösen versuchen, die längst vergangenen Zeiten entstammen?
Nutzen wir doch einfach die Möglichkeiten, die Lernen im 21. Jahrhundert zu bieten hat.
Ich freue mich von Dir zu lesen. Alles Liebe, Conny
21. August 2015 um 22:27
Ich denke, da wir es mit Lebewesen mit ganz unterschiedlichen Charakteren zu tun haben, sind auch die Vorgehensweisen ganz individuell. Ich persönlich mag nicht so gerne absteigen, weil ich das Gefühl habe, dass ich die Situation im Sattel besser unter Kontrolle (also entschärft und gelassener) bekomme, als wenn ich absteige. Das merkt ein Pferd ja sofort und somit bin ich am Boden im Nachteil, weil ich nicht die Sicherheit ausstrahle, die mein Pferd braucht. Wenn jemand gerne in solchen Situationen absteigt ist das natürlich genau umgekehrt. Jedenfalls ist alles richtig, was gewaltarm ist. Ich sage bewusst nicht gewaltfrei, weil wir auch wir Menschen manchmal jemand brauchen, der uns sagt: „Reiß Dich zusammen und stell Dich nicht an! Du schaffst das und jetzt kneif‘ die Pobacken zusammen und ab durch die Mitte!“ Das grenzt sich m. E. schon von Gewalt ab, ist aber sicher ein gehöriger Druck. Alles ist aber nur dann zielführend, wenn wir es so machen, dass unser Pferd gestärkt aus der Situation hervorgeht und das Gefühl hat, ein Problem gemeistert zu haben, also wenn wir als Team danach stolz sein können. Daran wachsen Pferd wie Reiter und natürlich auch die Kombination und die nächste schwierige Situation ist schon etwas weniger schwierig und mit viel Geduld wächst man dann mit den Herausforderungen. Ich stimme daher babs zu in ihrer Vorgehensweise: ruhig, anschauen lassen, vielleicht berühren (wenn das z. B. ein Objekt ist, was gestern noch nicht da war) aber nochmal: wir müssen für unser Pferd authentisch sein, die einen im Sattel, die anderen zu Fuß und das ganz unabhängig von der Meinung und Beurteilung Dritter. Die nützt mir nämlich gar nichts, wenn sie nicht zu mir und meinem Pferd passt. Deshalb gilt: clever agieren, vorausschauend agieren und authentisch sein. Wünsche Euch viel Spaß bei Euren Herausforderungen. 🙂 Und lasst Euch nicht durch die Meinung anderer verunsichern — was nicht heißt nicht mehr über den Tellerrand zu schauen und Kritik und anderes Denken generell abzulehnen.
Grüße
Jürgen
22. August 2015 um 10:52
Toller Artikel! Ich hab in solchen Situationen auch die Erfahrung gemacht, dass das Pferd bei diesen invisivlen Geistern (Traktoren…) mehr Vertrauen gewinnt, wenn abgestiegen wird. Hab das bei meinem in jungen Jahren auch so gemacht, jetzt ist er ein tolles Wanderreitpferd und sicher unterwegs! Steig trotzdem auf kurzen Strecken entlang von Hauptstraßen ab, da fühlen wir uns nach wie vor wohler… echt keine Schande!
Viele Leute glauben aber, dass man nur mit kranken Pferden zu Fuss geht, so ein Schmarrn, was bin ich schon blöd angesprochen worden! Meine Pferde sind meine Kumpels, wir genießen unsere Ausflüge. Mit dem Pony geh ich auch joggen, das geht oft nicht in die Menschenköpfe rein….