Alessa Neuner

A Life dedicated to Horses

Vom Wolf und Labrador: Eine Geschichte über Persönlichkeit und Stärke

Eine Persönlichkeit

Der Wolf: Ein Tier, dem man ganz selbstverständlich viel Respekt und Ehrfurcht entgegenbringt.

Vom hechelndem Labrador und dem wilden Wolf

Gestern klagte mir ein Freund sein Leid in seiner Beziehung. Im Gegensatz zu seiner Freundin sei er immer für sie da, würde ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen und stets für Harmonie sorgen. Sie hingegen schien für alles auf der Welt Liebe und Aufmerksamkeit aufzubringen, nur nicht für den Partner an ihrer Seite.

Ich beschrieb dem Freund seine Situation mit einer kleinen Geschichte:

Stell dir vor, du begegnest einem lieben Labrador. Er freut sich immer und über alles, hüpft an dir auf und ab und bringt jedes noch so lieblos geworfene Stöckchen. Je länger ihr nebeneinander lauft, desto weniger achtest du auf den Hund, der ja eh stets bei dir ist. Die Stöckchen werden mit halber Energie geworfen, denn das reicht ja lange. Ab und an rumpelt ihr zusammen und es passiert, dass du dem Labrador mal auf die Pfote trittst – bei dem ständigen Gewusel ist das ja kein Wunder.

Nun gehst du ein Stückchen weiter und begegnest einem wilden Wolf. Er schenkt dir seine Aufmerksamkeit, ohne jedoch von seinem Platz zu weichen. Mit viel Respekt und guter Überredungskunst schaffst du es vielleicht, dass sich der wilde Wolf dir nähert. Vielleicht begleitet er dich sogar ein Stückchen auf deinem Weg. Vorsichtig setzt du deine Schritte und bedacht wählst du deine Handlung. Am Ende des Weges schenkt der wilde Wolf dir ein leichtes Wedeln mit der Schwanzspitze und du strahlst vor Freude über dieses Geschenk.

Erkennst Du den (freundlichen) Wolf im Bild?

Wildpferde in Südafrika. Erkennst Du den (freundlichen) Wolf im Bild?

Was dies nun mit der Beziehung des Freundes auf sich hat? Ich riet ihm, ab und an in den Pelz des wilden Wolfes zu schlüpfen. Sich ab und an rar zu machen – nicht, um den anderen zu verletzen! Sondern schlicht darum, sich auf seinen eigenen Platz zu setzen und sich seiner ganz besonderen Persönlichkeit bewusst zu werden. Es geht nicht darum, wild und unberechenbar zu sein. Letztendlich seht sich auch der Wolf nach Harmonie – doch dabei gibt er niemals sich selbst auf! Liebe, Respekt und Zuneigung müssen verdient werden und sind nichts wert, wenn sie einem – wie unser Labrador – vor die Füße geworfen werden.

Auch in einer bereits gefestigten Beziehung empfinde ich es als ungemein wichtig, eine eigenständige Persönlichkeit zu bleiben.

Bei diesem Vergleich kamen mir natürlich auch die Pferde in den Sinn. Ich arbeite seit Jahren aus tiefster Überzeugung mit positiver Verstärkung. Lob ist in meinen Augen die größte Motivation für jedes Pferd! Und dennoch vergesse ich nie, ab und an den Wolfspelz überzustreifen. Ich glaube sogar, ein wenig „Wolfshauch“ weht ständig um mich herum. Dieser darf niemals mit Strafe gleichgesetzt werden! Denn es geht nicht darum, ein anderes Wesen zu bestrafen. Ganz im Gegenteil ist es in meinem Sinne, in Harmonie zusammenzufinden – doch genau wie mein Pferd, möchte ich dabei als Persönlichkeit wahrgenommen werden.

Respekt füreinander bedeutet, die andere Persönlichkeit als solche wert zu schätzen.

Respekt füreinander bedeutet, die andere Persönlichkeit als solche wert zu schätzen.

Der Mensch als Persönlichkeit, nicht als Leittier

Pferde brauchen im Umgang mit dem Menschen keine Führer, die die Stelle eines Herdenchefs einnehmen wollen. Denn im Pferd sein werden wir stets kläglich scheitern. Und dennoch erwarten unsere Pferde von uns, dass wir in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Pferde wünschen sich Persönlichkeiten an ihrer Seite. Spätestens, wenn wir sie aus ihrer sicheren Herde holen und die wilden Wälder mit ihnen durchstreifen wollen, wünschen sie sich einen starken Charakter an ihrer Seite.

Ganz ähnlich geht es mir, wenn ich spät abends im Dunkeln durch die Straßen laufe – wir alle würden wohl lieber den starken Mann als den unsicheren Jungen an unserer Seite wissen wollen, oder nicht? Doch diese starke Persönlichkeit kann ebenso ein zierliches Mädchen sein – denn es ist die innere Stärke, das In Sich Ruhen, welches Sicherheit und somit letztendlich auch Harmonie verspricht.

Ich hoffe, mein Menschenfreund schafft es, sich öfters mal den Wolfspelz überzuwerfen, um seine Freundin mit seiner besonderen, faszinierenden Persönlichkeit zu beeindrucken. Ich werde mich freuen zu beobachten, wie ihm dabei immer weniger auf die Pfoten gestiegen wird. Genau so, wie ich mich jeden Tag freue, neben meinem Pferd herzulaufen und zu wissen, dass wir beide als individuelle Persönlichkeiten unglaublich harmonisch miteinander agieren können. Wenn ich dieses wilde Glitzern in seinen Augen sehe, dann erkenne ich den starken Wolf in ihm. Und mal wieder blicke ich als beeindruckter Schüler auf den großen Lehrer an meiner Seite. Ich rücke meinen Wolfspelz zurecht und laufe los, in die große, weite Welt.

Wenn wir unser Glitzern der Augen, unsere Persönlichkeiten mit all den Ecken und Kanten, vereinen, kann Großes entstehen.

Wenn wir unser Glitzern der Augen, unsere Persönlichkeiten mit all den Ecken und Kanten, vereinen, kann Großes entstehen.

Du möchtest noch weiterlesen? Dann schau doch mal bei Fühlend Reiten vorbei und lasse dich von wunderschönen Zeilen aus dem Kinderbuch „Der kleine Prinz“ inspirieren.

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3 Kommentare

  1. Wow, was für ein schön geschriebener Beitrag… Es steckt so viel Lebensweisheit darin… Danke dafür- es war eine freude ihn zu lesen!
    LG

    • Alessa

      9. März 2016 um 21:59

      Liebe Christina,
      vielen Dank für deine lieben Worte, das freut mich wirklich sehr! 🙂
      Herzliche Grüße!
      Alessa

  2. Ich erkenne zwar die Absicht, aber ich finde den Vergleich nicht optimal. Ich mache mich in meiner Beziehung nicht gerne rar. Ich überschütte meinen Freund gerne mit Aufmerksamkeit und Liebe.
    Das bekomme ich von ihm aber zurück.

    Denn im Unterschied zum braven Labrador bestehe ich auf meine Bedürfnisse. Ich knurre und bin beleidigt, wenn man mir auf die Füsse tritt. Ich weiche nicht, wenn mir ein Platz gut gefällt. Und ich renne dem Stöckchen nicht nach, wenn es nur mit halber Kraft geworfen wurde.

    Aber vielleicht liegt die Antwort wie immer irgendwo dazwischen. Manchmal Wolf, manchmal Labrador, je nach Situation.

    Viel wichtiger sind mir Werte wie Ehrlichkeit, Offenheit, Loyalität, Integrität. Ehrlichkeit auch darin, dass mein Freund mir seine Bedürfnisse immer mitteilt und ich mich auf sein Wort verlassen kann (und nicht beleidigt ist, wenn er mit mir einen Liebesfilm anschauen muss, weil er gesagt hat, dass er das will – sondern mir sagt, dass er darauf keine Lust hat).
    Zur Ehrlichkeit gehört auch Offenheit.
    Loyalität und Integrität gehört irgendwie auch zusammen.

    Und diese Werte passen auch gut zu Pferden. Sie sind immer ehrlich und offen, wenn wir bereit sind, dies zu sehen. Sie sind auch loyal und integer, auch wenn man sich das Vertrauen und die Loyalität verdienen muss und auch wenn sie ihre Launen haben. Da sind wir Menschen nicht anders.
    Vor allem Integrität ist beim Umgang mit Pferden wichtig – also nicht heute so und morgen anders.

    Wer gute Beziehungen führen kann, kann dies oft mit Menschen und Tieren gleichermassen.

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