Angsthasen brauchen manchmal einen Partner, der sie an die Hand nimmt und über die Angst hinweg führt.

Angsthasen brauchen manchmal einen Partner, der sie an die Hand nimmt und über die Angst hinweg führt.

Jimmy ist ein wundervolles Pferd. Sensibel, sanftmütig und trotzdem kraftvoll und stark. Doch so sehr wir seine positiven Eigenschaften schätzen, so sehr strengen uns seine negativen Angewohnheiten an. Jimmy ist ein notorischer Angsthase. Hat er sich mal mit genügend Zeit an etwas gewöhnt, kommt er mit vielen Dingen wunderbar klar. Überrascht ihn jedoch etwas, was er nicht einordnen kann, so reagiert er eben wie ein Angsthase: Beine in die Hand nehmen und im Zickzack das Weite suchen. Leider trägt unser Häschen aber oft einen Reiter mit sich herum, für den die Zickzack-Flucht weniger spaßig ist. Deshalb haben meine Mutter (die Besitzerin von Jimmy) und ich beschlossen, den Angsthasen in Jimmy zu bekämpfen!

Unser Ziel ist es nicht, Jimmy in seinen Reaktionen so abzustumpfen, dass er nicht mehr reagiert. Es ist ok, wenn er sich mal gruselt. Aber wir wollen versuchen ihm zu helfen, anders mit diesen Dingen umzugehen. Anstatt sofort die Flucht zu ergreifen und dabei immer panischer zu werden, wollen wir ihm einen anderen Weg zeigen. Ziel ist es dabei, dass Jimmy realisiert, wie viel angenehmer es ist, erstmal den Kopf einzuschalten und sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, anstatt vor ihnen davon zu laufen. Wir wollen sozusagen einen klugen und mutigen Angsthasen aus ihm machen. Hört sich komisch an? Lasst mir euch in den folgenden Tagebuch-Einträgen erklären, was ich meine…

Tag eins des Trainings: Erst einmal stand ruhiges Führen auf dem Plan.

Tag eins des Trainings: Erst einmal stand ruhiges Führen auf dem Plan. Den Strick haben wir schon bald nicht mehr gebraucht.

Gestern war also Tag 1 des Trainings angebrochen. Voller Tatendrang stapften wir los auf den Reitplatz – Khayman mit dabei im Gepäck. Das hat zum einen zugegebenermaßen den Grund, dass Khayman schnell sehr beleidigt ist, wenn er übergangen wird. Aber noch viel wichtiger ist die Tatsache, dass Khayman mit seiner unvoreingenommenen und selbstsicheren Art Jimmy Sicherheit gibt. Denn heute wollen wir Jimmy im sicheren Rahmen an kleine Fürchterlichkeiten gewöhnen und ihm eine Vorstellung davon geben, dass es einen Ausweg aus der Angst gibt.

Doch vorerst stand etwas anderes auf dem Programm: Führen. „Wie jetzt?“ werdet ihr euch vielleicht fragen. „Was hat denn Führen mit Schrecktraining zu tun?“. Sehr viel, wie ich finde. Schauen wir uns doch einmal das Wort „führen“ genau an. Es hat den Inhalt, etwas oder jemandem eine Richtung vorzugeben und ihn dorthin zu begleiten. Und genau das wollen wir von Jimmy. Wir wollen, dass er sich in seiner Angst oder Unsicherheit an uns wendet und nicht von uns abwendet. Um also die Aufmerksamkeit von Jimmy zu bekommen, stand erstmal ruhiges Führtraining auf dem Programm. Ich positionierte Mama neben Jimmys Schulter und erklärte ihr, dass sie von dort mit ihrer Schulter sowohl bremsend auf Jimmy einwirken könne (indem sie Körper und äußere Schulter nach vorne auf ihn zu bringt) als auch vorwärts schickend (indem sie Körper und äußere Schulter nach hinten bringt). So liefen die Beiden los, Seite an Seite. Anfangs war die Kommunikation noch etwas holprig, mal war der eine zu schnell, mal der andere. Doch irgendwann schlich sich eine Veränderung ein: Jimmy begann, die Bewegungen meiner Mama zu spiegeln.

Erst wenn von beiden Seiten aus eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre herrscht, kann das eigentliche Training begonnen werden.

Erst wenn von beiden Seiten aus eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre herrscht, kann das eigentliche Training begonnen werden.

Nun waren wir an einem Punkt, an dem die eigentliche Arbeit beginnen konnte. Jimmy war entspannt und ruhig, aber dennoch aufmerksam und konzentriert. Bevor ich diesen Zustand sowohl beim Mensch als auch beim Trainer nicht erreicht habe, fängt bei mir das eigentliche Training nicht an.

Zur Aufgabe des heutigen Tages hatten wir es uns gemacht, dass Jimmy Hufglocken an seinen Beinen akzeptieren würde. Jimmy hat besonders viel Angst vor Dingen, die an ihm hängen und sich nicht entfernen lassen, besonders an den Beinen. So begannen wir also damit. Ziel war es dabei aber, niemals über seine Grenzen hinaus zu gehen! Wir wollten keine Panik provozieren, sondern nur einen kleinen Schritt in diese Richtung gehen und ihn aus seiner Angst wieder abholen, bevor er sich darin verlieren konnte.

Nachdem Jimmy ein paar Mal aus seiner Angst abgeholt werden musste, lief er vertrauensvoll mit seinem Menschen mit.

Nachdem Jimmy ein paar Mal aus seiner Angst abgeholt werden musste, lief er vertrauensvoll mit seinem Menschen mit.

Der erste Schritt war also nur das Vertrautmachen der Hufglocken im Stand. Das stellte keinerlei Probleme dar, also ging es weiter mit Losgehen im Schritt. Und schon ging es los – Jimmy riss den Kopf hoch und strampelte mit dem Fuß. Doch bevor er sich in dieses unangenehme Gefühl hineinsteigern konnte, hielten wir ihn schon wieder an. Im Stand konnte er wieder durchschnaufen und runterkommen. Sobald er wieder ruhig und konzentriert war, ging es erneut los. Es dauerte ein paar Anläufe und jedes Mal, wenn er sich hineinzusteigern drohte, standen wir wieder still. Doch es funktionierte – irgendwann lief er mit der Hufglocke am Bein über den Platz und anstatt davon zu laufen, horchte er in sich hinein und versuchte, diese Situation zu verstehen. Und hier waren wir eigentlich bereits da angekommen, wo wir hinwollten! Jimmy begann bei uns zu bleiben und seinen Kopf einzusetzen! Dafür gab es erstmal ein großes Lob und Pause von den gruseligen Dingen.

Die Hufglocken an den Hinterbeinen ließen wieder den Angsthasen in Jimmy hervorlugen - aber zum Glück nicht allzu lange!

Die Hufglocken an den Hinterbeinen ließen wieder den Angsthasen in Jimmy hervorlugen – aber zum Glück nicht allzu lange!

Ein wenig später konfrontierten wir ihn erneut mit der Hufglocke, diesmal am Hinterbein. Wieder wollte er sich zuerst in seine Angst flüchten, doch bevor es dazu kam, brachen wir das Laufen ab. So ging es wortwörtlich Schritt für Schritt voran und Jimmy begann zu begreifen, dass Flucht nicht immer die einzige Lösung ist. Ob er bereits überzeugt davon ist, dass es nicht doch die beste Lösung ist, das wissen wir nicht 😉 Aber ich bin mir sicher, auch davon wird er sich noch überzeugen lassen!

So ein tapferes Pferd hat sich eindeutig ganz viel Lob verdient!

So ein tapferes Pferd hat sich eindeutig ganz viel Lob verdient!

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