Alessa Neuner

A Life dedicated to Horses

Gymnastizierung über alles? 

Im Idealfall hilft die Arbeit dem Pferd, sein volles Potential zu entfalten und körperlich wie geistig gesund zu bleiben.

Im Idealfall hilft die  gymnastizierende Arbeit dem Pferd, sein volles Potential zu entfalten und körperlich wie geistig gesund zu bleiben. Im schlimmsten Fall hindert sie das Pferd genau daran. Warum? Weil nicht jedes Pferd dazu geschaffen ist, ein Spitzensportler zu werden.

Wer heutzutage Pferdebesitzer und/oder Reiter ist, kommt an einem Begriff sicherlich nicht vorbei. Das Wort „Gymnastizierung“ schwebt über uns wie die Melodie eines Songs, den wir nicht aus dem Kopf bekommen. Das kann sehr schön sein. Oder schrecklich nervtötend, weil man gerne an etwas anderes denken möchte. Genau so scheint es vielen mit dem Thema der Gymnastizierung zu gehen. Es ist ein Thema, das einen sehr dominanten Platz im Pferdesport einnimmt.  Manchmal vielleicht einen zu dominanten, habe ich das Gefühl…

Lasst uns einmal anschauen, was Gymnastizierung im Sinne der Gesunderhaltung bedeuten soll. Im Grunde möchte ich mit dieser Arbeit sicherstellen, dass mein Pferd körperlich gesund genug ist, um ein langes und glückliches Leben zu führen und im Idealfall dabei auch noch ohne Schäden seinen Reiter zu tragen. Ein sehr schönes Ziel, wie ich finde. Anders wie ein lästiger Ohrwurm, kann diese Arbeit mit sehr viel Spaß und Freude zusammenhängen. Nur ein Pferd, welches sich körperlich in Harmonie und Balance befindet, kann dies auch psychisch sein. Zu betrachten, wie ein Pferd durch die Arbeit mit dem Menschen an Präsenz, Ausstrahlung und Körpergefühl gewinnt, ist unvergleichbar schön!

Gymnastizierung muss nicht immer so streng sein, wie sie sich anhört.

Gymnastizierung muss nicht immer so streng sein, wie sie sich anhört.

Doch ich habe das Gefühl, dass die dringliche Darstellung dieser Arbeit vieles in ein falsches Licht rückt. Wessen Pferd nicht in konstanter Anlehnug jederzeit feinst an den Hilfen steht, wird oft schon schräg angeschaut. Nur zweimal die Woche wird an der Gymnastizierung gearbeitet? Puuh, ob sich das der Mensch überhaupt noch draufsetzen sollte? Das Pferd wird eigentlich nur im Gelände geritten und hat im Leben noch nichts von mindestens Travers, Renvers und Galoppvolten gehört? Tierquälerei!!
Ich weiß, ich übertreibe mal wieder. Aber ist es nicht so, dass man oft genau dieses Gefühl hat, wenn man sich die Dressurarbeit nicht zum wichtigsten Ziel gesetzt hat? Ich bin von den positiven Auswirkungen von richtiger Gymnastizierung überzeugt und sicher, dass es jedem Pferd gut tut, körperlich gefördert zu werden. Nur hat das in meinen Augen auch Grenzen!

Schlechtes Gewissen, weil man einfach mal die Seele baumeln lässt? Das darf nicht sein, finde ich!

Schlechtes Gewissen, weil man einfach mal die Seele baumeln lässt? Das darf nicht sein, finde ich!

Denn: Gymnastizierung steht nicht über allem! Für mich ist es wichtig, ein glückliches und gesundes Pferd im Stall stehen zu haben, welches freudig mit mir zusammenarbeitet. Und so vielfältig wie unsere Pferde sind, glaube ich nicht, dass für alle das gleiche Maß an Dressurarbeit angesetzt werden kann.

Ich möchte euch hierfür ein Beispiel aus meiner eigenen Herde geben. Khayman ist ein Pferd, welches körperlich durchaus seine Problemstellen hat und dem die Dressurarbeit sehr hilft, gesund und fit zu bleiben. Zum Glück bereitet ihm die Arbeit am Platz auch wirklich Spaß und er freut sich, Herausforderungen gestellt zu bekommen. Für ihn ist die gymnastizierende Arbeit eine Bereicherung in jeder Hinsicht!

Ein gesundes, leistungsbereites Pferd ohne klassische Gymnastizierung? Ja, das kann gut funktionieren. Genauso, wie es auch nicht funktionieren kann. Das Individuum gibt vor, was für Bedürfnisse es hat!

Ein gesundes, leistungsbereites Pferd ohne klassische Gymnastizierung? Ja, das kann gut funktionieren. Genauso, wie es auch nicht funktionieren kann. Das Individuum gibt vor, was für Bedürfnisse es hat!

Nun schauen wir uns im Gegensatz dazu Jimmy an: Er ist vom Gebäude her top gesund und kräftig, läuft wunderbar locker und war in seinem Leben noch nie krank, trotz großer Leistungen. Geht man mit ihm jedoch anstatt ins geliebte Gelände dafür auf den Reitplatz, so wandelt sich das Bild. Die Motivation ist kaum noch vorhanden und die Arbeit mit ihm wird zäh und geht langsam voran. So wurde er in den letzten Jahren kaum gefördert, was die Dressur angeht. So wunderschön locker er im Gelände seinen Reiter trägt, so holprig wird alles auf dem Reitplatz. Nun könnte ich hergehen und anfangen, täglich auf dem Platz zu trainieren. Sicherlich würden sich seine Problemchen dort mit der Zeit verbessern und warscheinlich wird sich auch seine körperliche Fitness eher noch steigern. Doch zu welchem Preis? Ich weiß, dass ihm dieses Training jegliche Freude an der Zusammenarbeit rauben würde. Und welchen Preis zahle ich, wenn ich ihn weiter einfach so im Gelände vor sich hinlaufen lasse und nur ab und zu den Reitplatz mit ihm aufsuche? Vielleicht den, mich schräg anschauen zu lassen. Aber dafür behalte ich mir das, was mir mit meinem Leben mit den Pferden am wichtigsten ist: Eine glückliche und harmonische Beziehung!

Gymnastizierung kann eine wunderbare Bereicherung für Pferd und Reiter sein. An erster Stelle darf sie finde ich dennoch nie stehen!

Gymnastizierung kann eine wunderbare Bereicherung für Pferd und Reiter sein. An erster Stelle darf sie finde ich dennoch nie stehen!

Für mich steht also fest: So wichtig und bereichernd das Thema der Gymnastizierung auch ist – es steht nicht über allem! Denn im Vordergund sollte immer ein glückliches Pferd und eine gesunde Beziehung stehen. Gymnastizierung kann dabei einen schönen (und auch großen!) Platz einnehmen. Aber wie immer gilt auch hierbei: In Maßen und nicht in Massen!

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8 Kommentare

  1. Ich glaube genau das ist oftmals mein Problem. Oder es war es. Dass ich mich zu sehr auf Gymnastizierung und irgendwelche Lektionen (ob jetzt Reiten oder Bodenarbeit) versteift habe.
    In dieser Hinsicht waren jetzt die zwei Jahre mit Piri, in denen sie gelahmt hat, sehr lehrreich und auch absolut hilfreich für unsere Beziehung zueinander.
    Es ist doch immer alles für irgendetwas gut, nicht? 😉 Vllt sollte mir die ewige Lahmheit genau das zeigen, dass es viel wichtiger ist, einfach nur Spaß zusammen zu haben, als ein perfekt gymnastiziertes Pferd. Dann fänd ich es aber super wenn das ganze jetzt dann trotz alldem bald vorbei wäre (und wir uns an unsere endlich diagnostizierte Arthrose gewöhnen können…)

  2. Liebe Alessa, genau das ist es! Ich finde auch, dass die Gymnastizierung wichtig ist. Aber eben nur dann, wenn das Pferd sie braucht, um gesund und glücklich mit uns zu sein. So wie der eine Mensch eher Joggen gehen muss und der andere das wegen der Gelenke nicht darf, muss man bei seinem Pferd auch schauen, was es braucht um zufrieden und gesund zu sein. Das muss das Ziel sein 🙂 Aber ich habe ohnehin das Gefühl, dass in der Pferdewelt immer Grundsatzaussagen durch die Gegend geistern. ´Das dieses oder jenes MUSS und dieses oder jenes gar nicht DARF und jeder hat Recht und alles MUSS wie eine Maxime befolgt werden. Nicht immer, aber doch immer wieder. Verrückt oder? Wo bleiben Spaß und Gefühl dabei? Also, lieben Dank für Deinen Post! Liebe Grüße, Petra

  3. Servus Alessa,

    danke für Deine Gedanken – Dein Statement. Ich habe eine gehandicapte Stute, die reelle, motivierende Gymnastizierung, braucht um fit zu bleiben. Ich gymnastiziere nur vom Boden aus, der Rest ist Gelände…Die Gymnastizíerung findet 2x/Woche statt und dauert max. 25 Minuten; sie bestimmt, was gemacht wird – womit sie gerade am Besten zurecht kommt. Sie wird gebisslos gearbeitet und findet das Klasse. Ich auch…Das Ergebnis ist ein lockeres zufriedenes Pferd, das fast voll belastbar geworden ist. Ich bin eine alte Gymnastiziertante – aber das Pferd bestimmt, wo es lang geht. Herzliche Grüße Manuela

    • Alessa

      18. November 2014 um 8:50

      Liebe Manuela,
      danke für deine schönen Worte – genau so sehe ich es auch: Das Pferd bestimmt, wo es lang geht. Khayman würde ohne die gymnastizierende Arbeit heute auch ganz anders dastehen. Er hat auch wirklich Spaß daran gefunden! Aber eben deswegen, weil wir nie stur ein Programm durchgezogen haben, sondern immer darauf geachtet haben, dass er sich wohl fühlt. Es ist mal wieder das „Wie“, was entscheidend ist 😉
      Ganz liebe Grüße an dich und deine Maus!
      Alessa

  4. ich habe drei Pferde und der einen macht es echt Spaß vom Boden gearbeitet zu werden findet aber das Reiten auf dem Platz eher blöd und meinem Wallach gefällt es gar nicht, er ist sehr unzufrieden fängt das Schnappen an und stellt eher auf stur als mit Freude bei der Arbeit zu sein. Was aber unterm Reiter nicht immer aber sehr häufig anders ist da ist er eher fleißig und will nur gefallen dazu muss ich aber sagen das er bis zu seinem 10 LJ Kutschpferd war und erst seid drei Jahren unterm Sattel geht. Er wird nie das Sportpferd sein was Elegant und geschmeidig ist er ist ein schweres Warmblut für was aderes gezogen als für die Dressur. Meine Jungstute bilde ich selber aus und habe mich von den Ausbildungsstandarts gänzlich abgesagt. Sie muss nicht mit 4 ihr erstes Turnier besuchen. Sie wird ganz schonend angeritten 2-3 mal in der Woche für 15-20 min und dann auch mal für ne Woche stehen gelassen vielleicht nen Spaziergang ins Grüne oder andere spannende Sachen wie Scheutraining oder auch Hängertraining. Die oben geschriebenen Zeilen sprechen mir so aus der Seele.

  5. Wenn ich den Text und die Kommentare lese, ist ja nicht das eigentliche Problem die Gymnastizierung sondern wie man sie durchführt. Wahrscheinlich machen viele den gleichen Fehler wie ich und üben diese mit Druck aus. Der Druck Gymnastizierung machen zu müssen, was hier oft angesprochen wurde. Führt man die Gymnastizierung mit Spaß aus, ohne sich spezielle Ziele zu setzten (z.B. Ende des Monats muss das Schulterherein die ganze Bahn entlang klappen), eben im Einklang mit dem Pferd und soviel Zeit wie Pferd und Mensch zum lernen brauchen, dürfte sie auch nicht mehr so abschreckend sein.
    Ich denke viele sind noch in dem Schema gefangen (hier noch eine Überleitung zu deinem Artikel bezüglich Unterbewusstsein) dass im Gelände Spaß angesagt ist und in der Bahn gearbeitet werden muss. Dort muss man fleißig sein. Spaß gehört hier nicht hin sondern höchstens Zufriedenheit, wenn man ein gewisses Pensum geschafft hat.
    Und wenn ein Pferd in der Bahn gut mitarbeitet aber ein anderes sich sogar aggressiv zeigt und körperliche Schmerzen ausgeschlossen werden können, vielleicht liegt der Grund dafür auch nicht beim Pferd sondern an der Erwartungshaltung des Menschen, dass die Arbeit mit diesem Pferd genauso einfach und schön klappt, wie mit dem anderen?

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