Gastbeitrag von Saskia Limbeck
„Einen Hengst? Bist du wahnsinnig, die sind gefährlich!“
Welcher Pferdemensch kennt diese Aussage nicht? Doch was steckt wirklich dahinter, woher kommen diese Ängste und finden sie Berechtigung?
Grundsätzlich haben sie von uns doch alle ihre Vorurteile bereits aufgestempelt bekommen: Hengste sind gefährlich und unberechenbar, Stuten zickig und launisch und Wallache ausdruckslos und langweilig. Doch fragt man die Besitzer, so hat irgendwie doch jeder das eine „Ausnahme-Pferd“, das so gar nicht den Klischees entspricht. Aber macht sich auch mal jemand Gedanken darüber, ob diese Klischees nicht eigentlich vollkommen unzutreffend sind?
In diesem Artikel geht es vorwiegend darum, einen intensiven Blick auf die Vorurteile gegenüber Hengsten zu werfen und den Ursprung dafür näher zu bestimmen. Ich erhoffe mir damit, Anregung zur Eigenreflexion bieten und im weitesten Sinne Türen zu neuem Bewusstsein zu öffnen.
Der Charakter eines Pferdes, egal welchen Geschlechts, entwickelt sich nicht nur aus der Erziehung und dem Umgang, den es erfährt, sondern insbesondere auch aus dem seelischen Gleichgewicht der Alltagssituation, in der es lebt. Zu einem zufriedenen und lebendigen Pferd gehört vorrangig eine artgerechte Haltung, die bei Hengsten leider zugegebenermaßen etwas aufwendig und für den Privathalter häufig schwer zu realisieren ist. Die meisten Pensionsställe nehmen entweder gar keine Hengste auf oder sie isolieren diese extrem, aus Angst vor Unruhe oder Verletzungen anderer Pferde. So müssen Hengste ihren Alltag daher häufig in der hintersten Stallecke ohne Kontakt zu anderen Pferden meistern. Solche soziale Isolation wirkt sich aus zahlreichen Erfahrungswerten nicht nur bei Menschen, sondern natürlich auch bei Tieren negativ aus und bleibt nicht ohne Folgen. Vergleichbar mit einem Teufelskreis entwickeln sich je nach Stärke der Isolation Verhaltensstörungen, die sich von unschönem Verhalten gegenüber den Menschen bis hin zu Aggressionen gegenüber anderen Artgenossen steigern können. Dabei ist diese Art der Äußerung vom Hengst selbst gar nicht böswillig oder hinterhältig geplant, sondern vielmehr ein Hilfeschrei, der falsch interpretiert und unnötig bestraft wird.
Eine pferdegerechte Haltung, aus der sich ein gesundes, sozialverträgliches und umgängliches Pferd entwickeln kann, beinhaltet IMMER einen Herdenverband sowie genügend Platz für Bewegung. Im Herdenverband lernen sie von klein auf spielend richtiges Sozialverhalten, das in der späteren Ausbildung auch einen Vorteil für den Menschen darstellt, denn darauf kann er zurückgreifen und erleichtert sich so die Erziehung und den Umgang. Jedes Pferd sollte natürlich die Möglichkeit bekommen, Pferd sein zu dürfen.
Trotzdem gibt es meiner Meinung nach bestimmte Regeln, die bereits in der Kinderstube vermittelt werden müssen und die auch das gesamte Pferdeleben Bestand haben. Denn insbesondere bei Hengsten, die eben doch auf natürliche Weise mit ihren Hormonen kämpfen, sind diese Regeln auch ein Schutz für uns Menschen.
Zwei der wichtigsten und unerlässlichsten Eigenschaften, die ein Mensch in die Beziehung zu seinem Pferd mitbringen muss, insbesondere in der Ausbildung von Hengsten, sind RESPEKT & KONSEQUENZ! Genauso wie ich von meinem Pferd erwarte, dass es sich mir gegenüber respektvoll verhält und meinen Bereich nicht unerlaubt überschreitet, genauso bringe auch ich ihm Respekt entgegen und erarbeite mir dadurch bereits ein großes Vertrauen. Auch Konsequenz ist keinesfalls etwas Negatives, sondern vielmehr für Pferde ganz einfach zu verstehen, da sie diese auch in ihrer Herde von anderen Mitgliedern erfahren und zu akzeptieren gelernt haben. Dabei ist Konsequenz auf keinen Fall mit Bestrafung zu vergleichen!
Es gibt diese absoluten No-Gos, gegen die gerade auch Hengstbesitzer oft kämpfen, welche auf keinen Fall geduldet werden dürfen und da kommen wir wieder zum Punkt der Konsequenz. Hierzu zähle ich Beißen und Treten. Das Beißen ist hierbei wahrscheinlich sogar noch häufiger in Form von „Schnappen“ zu finden. In diesem Zusammenhang sollte insbesondere darauf geachtet werden, dass Hengste in der Flegelphase nicht zu viel am Maul „geknubbelt“ und gestreichelt werden, denn das regt diese spielerische Maultätigkeit noch zusätzlich an. Außerdem achte ich beim Futterlob intensiv darauf, dass nicht danach geschnappt bzw. geschlungen wird.
Hengste sind extrem sensibel für ihre Umwelt. Unerfahrene, ängstliche oder schwache Menschen durchschauen sie sehr schnell und sehen sich dazu aufgerufen, in dieser Beziehung die Führungsrolle zu übernehmen. Das kann mitunter sehr gefährlich werden.
Abgesehen von falschen Haltungsbedingungen ist das einer der häufigsten Gründe, weshalb Hengste bestimmte Verhaltensmuster entwickeln, die auf den Menschen bedrohlich und Angst einflößend wirken. Hier entsteht der Nährboden für Vorurteile. Wer sich daher nicht zutraut, einen Hengst zu halten bzw. keinen erfahrenen Trainer an seiner Seite hat, der sollte es eben auch nicht tun. Denn es ist unfair dem Tier gegenüber und keiner, weder Mensch noch Tier, werden in dieser Konstellation glücklich sein. Das ist meiner Meinung nach vielleicht einer der wenigen Unterschiede zwischen Hengsten und Stuten & Wallachen. Bei einem Hengst, der in der Lernphase ist, darf ich mir keine Inkonsequenz erlauben.
Natürlich gibt es wie immer Ausnahmen, welche die Regel bestätigen.
- Es gibt sicher Hengste, deren Hormonausschuss nicht so auffallend ist, wodurch sie oft vom Verhalten mit Wallachen vergleichbar sind. Da muss ich nicht jede Verhaltensregel auf die Goldwaage legen.
- Es gibt Hengste, die regelmäßig im Deckeinsatz stehen und trotzdem Reitpferd sind. Mit solchen Hengsten würde ich nicht mit rossigen Stuten ausreiten, weil es für diese Pferde unnötigen Stress bedeutet, den ich vermeiden möchte.
- Es gibt Hengste, die sich auch ohne Deckeinsatz in der Gegenwart von Stuten wahnsinnig. Auch diesen Hengsten würde ich den Stress nicht zumuten, mit einer Stute zusammen auszureiten.
- Es gibt mit Sicherheit auch die Hengste, die sich absolut mit keinem anderen Pferd verstehen, weil sie durch falsche Aufzucht nicht gelernt haben, was Sozialverhalten in der Herde bedeutet. Deswegen werden diese Hengste aber nicht isoliert gehalten, sondern MINDESTENS in Sicht und Geruchskontakt zu den anderen.
Hengste wirken oft beeindruckend und imposant durch ihre Aufrichtung, den ausgeprägten Hals und ihr dominantes Auftreten gegenüber Stuten. Sie faszinieren die Menschen seit eh und je. Schaut man jedoch genauer hin und analysiert ihre natürlichen Bedürfnisse, so stellt man fest, dass sie, abgesehen von den Hormonen, nicht von Stuten oder Wallachen zu unterscheiden sind. Und das Einzige, was diese Hormone für uns Menschen bedeuten ist, dass wir die Disziplin und den Willen aufbringen müssen, ihnen gerecht zu werden, anstatt sie zu unterdrücken.
Denn ursprünglich haben wir ihnen ihre Freiheit genommen, also ist es auch unsere Aufgabe, ihnen ihr von uns bestimmtes Leben so angenehm und bedürfnisgerecht wie nur möglich zu gestalten.
Das soll natürlich nicht bedeuten, dass wir aufgrund fehlender maximal-natürlicher Haltungsbedingungen, keine Hengste halten können oder dürfen. Ich möchte mit meiner Erklärung vielmehr die Aufmerksamkeit darauf schulen, dass wir eine Optimierung der Verhältnisse stets im Sinn haben sollten und uns niemals am Ende dieser Reise sehen. Wir sind alle nicht perfekt und auch ich weiß, dass meinem Hengst noch einiges fehlt, damit er durch und durch glücklich leben kann. Aber allein das Bewusstsein und das ständige Streben danach zu haben, etwas zu verbessern, finde ich lobenswert!
Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen, dass diese beschriebenen „Monster“ alias Hengste, die vielen so viel Angst einjagen im Grunde extrem zu bemitleidende Opfer unserer egoistischen Menschenherrschaft sind, in der wir einfach nicht realisieren, was ihnen wirklich fehlt – Freiheit und Verständnis.
Denn wer schon einmal einen Hengst in einer artgerechten Haltung und angemessenen Erziehung groß gezogen hat, wird bestätigen, dass es keinen sensibleren, lehrnbegierigeren und majestätischeren Beweis für einen Danksager gibt, als den HENGST.
Beim Schreiben dieses Artikels fiel mir immer wieder auf, dass ich mich selbst ermahnen musste, nicht dauernd „Pferd“, sondern „Hengst“ zu schreiben, weil ich doch eigentlich einen Artikel zum Thema „Hengste“ schreiben wollte. Diese Tatsache brachte mich selbst zum Schmunzeln, sodass sich für mich das Fazit dieses Gedankengangs klar herausstellt: Im Grunde sind sie doch alle „nur“ Pferde!
Ich hoffe sehr, dass ich mit meinem Artikel ein wenig zum Nachdenken und besser sogar zum Umdenken anregen konnte.
Ich bin auf euer Feedback sehr gespannt!
Liebe Grüße vom Team Malik & Saskia
(Text: Saskia Limbeck)
23. Januar 2015 um 19:03
Wow sehr toller und vorallem interessanter Artikel! Ich habe bis vor zwei Jahren noch keinen Hengst aus der Nähe gesehen und dann leider das Negativbeispiel einer Hengsthaltung mit vier Hengste in vier nebeneinander liegenden Gitterboxen am Stallende. Zwar gab es täglich Koppelgang, jedoch immer allein und auf kleiner Fläche. Als unerfahrene Pferdebesitzerin war ich schockiert von den wilden Kämpfen über die Boxenwände und dem angriffslustigen Verhalten bei allen vorbeigehenden Pferden.
Erst durch Saskia und Malik konnte ich mehr über die beeindruckende Ausstrahlung von Hengsten erfahren und feststellen, dass sie auch „nur“ Pferde sind 😉
24. Januar 2015 um 18:41
Toll geschrieben! ! Rührt mich sehr., da ich glaube dass Tiere weil sie nicht sprechen können viel zu oft ( genauso wie imposante Menschen) in eine Schublade gesteckt werden und durch das Fehlverhalten erst schwierig werden. Ich besitze einen Wallach der gerade in der Pubertät ist und versucht oft zu dominieren. Er will genauso Grenzen testen und konsequent behandelt werden. Braucht liebe und Stärke um glücklich zu sein. Ob Stute Hengst oder Wallach. Jeder ist eine eigene Persönlichkeit und kein Ding! !
24. Januar 2015 um 19:44
Schöner artikel und da ich mir mein erstes fohlen, ein hengst, gekauft habe hoffe ich das der artikel zutrifft:-) er ist neun monate und wir konnten beim Züchter stehen bleiben. Dort sind noch weitere fünf hengste und alle sehr lieb. Keine unarten und der 4 jährige enkel wird drauf gesetzt wenn der große zur koppel geführt wird. Ich hoffe das meiner auch so anständig wird. Konsequenz fällt mir manchmal schwer bei so einem kleinen…aber zwicken oder treten darf auch er nicht. Was Hänschen nicht lernt fällt bei hans sehr schwer. Ich bekomme aber vom Züchter hilfe und darüber bin ich sehr froh. Natürlich habe ich auch gesagt er soll mir sofort Bescheid geben wenn ich was falsch mache. Leider dauert es noch ein paar jahre bis ich das ergebnis sehe, aber ich habe jetzt schon festgestellt das er auch geistige Beschäftigung braucht. Zwar nur zwei drei min. Länger nicht aber es macht Spaß. ….
25. Januar 2015 um 6:57
Hallo liebe Saskia. Vielen Dank für deinen schönen Artikel. Als Hengsthalterin habe ich mich natürlich gefreut! Du sprichst mir auch grundlegend aus der Seele. Nur in einem Punkt nicht! Du gibst eine Anleitung was man besser nicht machen sollte. Ein Deckhengst mit Stuten ausreiten…. ect. Das ist genau falsch herum. Ich verstehe deine Sicherheitsbedingten Gründe aus eigener Erfahrung und habe von meinem Trainer etwas sehr wichtiges gelernt. Du musst jede Situation meistern denn es darf keinen Unterschied geben für dich ob du auf einem Hengst… Wallach oder Stute sitzt! Andere dürfen keinen Unterschied sehen…. er muss dir folgen! Meine Freundin hat gebisslos mit ihrem Deckhengst zusammen mit drei Stuten eine 5 Tage Alpenüberquerung geritten….. und am Anfangsort noch einen Deckeinsatz gemacht. Es gab keinen Zwischenfall! … also ganz liebe Grüße von Hengsthalterin zu Hengsthalterin…
1. Februar 2015 um 13:17
Hallo zusammen, ich habe einen fünfjährigen Araberhengst (übrigens auch schwarz 😉 ). Mir hat man auch zuerst von allen Seiten gerate, ihn um Gottes Willen so früh als möglich zu kastrieren (am besten schon mit zwei, dann kommen die Hormone erst gar nicht durch). Zu erst einmal halte ich nichts davon, Hengste noch unausgewachsen zu kastrieren, weil es doch sehr in den Hormonhaushalt eingreift und ich denke, sie sollten dazu erst einmal annähernd ausgewachsen sein. Das sind sie zwar mit 3 Jahren auch noch nicht, aber zumindest die Größe ist einigermaßen erreicht.
Also zurück zu meinem Bub: Natürlich hatten wir auch „Hengstphasen“, die wir überstehen mussten und auch klar stellen, wo unser beider Grenzen sind. Aber das war mir beim Kauf eines Jährlings schon bewusst. Wir haben die Phase überstanden. Er ist ein wundervoll sensibles Pferd. Natürlich wölbt er den Hals, wenn wir an einer Stute vorbei gehen und er brummelt auch gerne einmal, wenn er am Strick geht, aber er würde nie „davonziehen“ solange ich da bin. Ich kann ihn am langen Strick neben mir hertänzeln lassen, mich an meinem wunderschönen Pferd erfreuen…
Ich denke, dass wichtigste ist die eigene Einstellung zu einem Pferd. Ich kenne viele, die „vor den Hoden“ Angst haben. Nachdem das Pferd dann kastriert ist, hat sich sein Verhalten zwar nicht verändert (das geht auch nicht von heute auf morgen), aber die Menschen haben nicht mehr das Gefühl, sie haben einen Hengst und es passiert gleich etwas schrekliches und sind dadurch der Situation gewachsen.
Ich gebe zu, dass ein Hengst in der Haltung einen deutlichen Mehraufwand bedeutet, aber meiner kommt mit meinem Pony Wallach auf die Koppel und steht immer über dem Zaun hinweg in Konakt mit anderen. Ja, ich überprüfe den Koppelzaun einmal die Woche…. Ja, ich warte gerne mal bis die Stute nicht mehr auf der Stallgasse steht, bevor ich aus der Box gehe… Ja, ich schaue dreimal, ob die Boxentür zu ist… Aber das gehört zum gesunden Menschenverstand. Wie oben so schön steht, man muss nicht unbedingt mit einer rossigen Stute ausreiten, aber ansonsten habe ich nicht das Gefühl, dass es mich oder ihn einstränkt.
RESPEKT & KONSEQUENZ trifft es wunderbar. Auch wir Menschen müssen lernen, dass nur weil uns das Tier auf dem Papier gehört, es trotzdem seinen Raum hat, den auch wir akzeptieren müssen. Meinen Erfahrungen nach, ist das bei einem Hengst ausgeprägter. Meiner mag es z.B. nicht, wenn man ihn streichelt während er sein Kraftfutter frisst (beim Heu ist es überhaupt kein Pronlem). Es gibt einige, die sagen, gerade bei einem Hengst muss ich das dürfen, aber beantworte mir mal einer die Frage: Warum? Er lässt sich überall und immer anfassen. Nur beim Abendessen mag er es nicht. Ich akzeptiere seine Grenzen, er meine…
Ich könnte mir kein wundervolleres Pferd vorstellen als ihn! Und das sage ich über einen fünfjährigen Araberhengst… der Schrecken aller Anti-Hengst-Menschen ;).